Mit ihren Besuchern fahren Javier Pedrazzini und Eva Baratta gerne nach Capalbio, einem Hügeldorf mit Ausläufern, einer Art Adlerhorst, von dem man einen unverstellten Rundblick in die südliche Maremma hat: das Meer im Westen, den Rücken des vulkanischen Auswurfs Monteti im Osten, die angrenzende Region Latium südlich. Wenige Kilometer entfernt, im Landesinnern, befindet sich ihr Weingut, 1998 von Evas Eltern Paolo Baratta und Gemma Bracco gewissermassen auf der grünen Wiese gegründet.
Diese etwas verwunschen wirkende Ecke der Maremma hatte schon Niki de Saint Phalle in ihren Bann gezogen, jahrelang baute sie hier an ihrem Zaubergarten Giardino dei Tarocchi, den sie zeitweise auch bewohnte; er zählt heute zu den vielbesuchten touristischen Attraktionen der Gegend. Ihre bunte Bilderwelt – unzählige farbige Glasteilchen, die die Haut der Fabelwesen bilden, eine verspielte Gartenanlage – kontrastiert scharf zur strengen Formsprache des Kellers der Tenuta Monteti, entworfen vom Architekten Sergio Bracco.
In seinem Innern kann mittels ausgeklügelter Technik das Konzept des Masterminds von Monteti punkt genau umgesetzt werden. Javier Pedrazzini vergleicht seine Arbeit denn auch mit derjenigen eines Schachspielers. In der Tat verfolgt das Team mit der sardischen Önologin Michela Bussu ein durchdachtes, strukturiertes Konzept: Der ganze Rebberg ist durch Bodenanalysen definiert und in eine Vielzahl Parzellen unterteilt. Deren Ertrag wird separat verarbeitet und bildet die Puzzlestücke, die dann nach einem langwierigen Prozess des Assemblierens die beiden Rotweine Monteti und Caburnio, Premier und Deuxième Vin, bilden.
Bestockt sind rund 30 Hektaren mit den Sorten Cabernet Sauvignon, Petit Verdot, Cabernet franc, Alicante Bouschet und Merlot. Der Mix und die Abwesenheit von Sangiovese mag erstaunen, in dieser Ecke der Toskana ist er aber nicht aussergewöhnlich. Die Wahl geht auf die Anfänge der Tenuta Monteti zurück. Paolo Baratta und Gemma Bracco engagierten Ende der 1990er Jahre Carlo Ferrini und seine Mitarbeiterin Gioia Cresti, sie selber produziert mit Carpineta Fontalpino im südlichen Gebiet des Chianti Classico eigene Weine. Die Gruppe kam zur Überzeugung, dass dieses Brachland nicht der Ort für Sangiovese ist, sondern für Varietäten, wie sie im Bordelais kultiviert werden.
Die beiden Eigentümer wussten wohl, was guter Wein ist, sie selber waren aber in ganz anderen Bereichen tätig, Gemma Bracco als Schriftstellerin und Dichterin, verlegt von Mondadori, Paolo Baratta in der Politik als Minister in den Regierungen von Amato, Ciampi und Dini. Nach dem Ausscheiden aus der Politik präsidierte er von 2008 bis 2020 die Biennale von Venedig.
Seine Frau stammt aus der Unternehmerfamilie Bracco, diese gründete 1927 unter dem Namen Italmerk ein Pharmaunternehmen. Heute realisiert Bracco mit Pharmazie und Diagnostik jährlich rund 1,5 Milliarden Euro Umsatz. Das Unternehmen setzt sich mit der Bracco Stiftung für die «Aufwertung des kulturellen, historischen und künstlerischen Erbes auf nationaler und internationaler Ebene ein, fördert wissenschaftliche Ansätze bezüglich Gesundheitsschutz mit besonderem Augenmerk auf den Bereich der Prävention für Frauen. Die Stiftung unterstützt die allgemeine und berufliche Bildung junger Menschen sowie die Entwicklung von Solidaritätsinitiativen als Beitrag zum Wohlergehen der Gemeinschaft und zur Verbreitung des Umweltbewusstseins.» Präsidiert wird die Stiftung von den Schwestern Gemma und Diana Bracco.
Die Gründer von Monteti stehen heute in der zweiten Reihe, ihre Tochter Eva Baratta und ihr Mann Javier Pedrazzini führen den Betrieb, auch sie Quereinsteiger. Eva Baratta war unter anderem als Filmautorin und -pro duzentin tätig, Javier Pedrazzini arbeitete für Argentinien im diplomatischen Dienst, seit 2010 widmen sich die bei den nun hauptsächlich der Tenuta Monteti und pendeln zwischen Capalbio und Rom, wo ihre Tochter zur Schule geht.
Bei seiner heutigen Arbeit kommt Javier Pedrazzini seine Erfahrung als Diplomat durchaus zupass, denn Weine aus der Maremma gehen nicht weg wie warme Brötchen. Man hat sich entschieden, sie nicht unter der kaum bekannten DOC Capalbio zu verkaufen, sondern als Toscana IGT. Die Toskana allerdings ist gross, und man ist ja nicht in Bolgheri, verfügt auch nicht über Historie und auch nicht über wohlklingende Markennamen. Kurz und gut: Es besteht viel Aufklärungsbedarf bezüglich Herkunft und Sortenwahl. Da kommt Javier Pedrazzini zugute, dass er weiss, was es heisst, aus dem Koffer zu leben und als Botschafter der Tenuta Monteti den internationalen Markt zu bearbeiten. Erklären muss er auch immer wieder, warum man sich nicht biozertifizieren lassen will.
In problemlosen Jahren kommt man mit den entsprechenden Praktiken gut über die Runden, wenn’s eng wird, möchte man sich aber nicht zu stark einschränken lassen. Der Betrieb schloss sich 2016 dem Programm von VIVA an, es wurde 2011 vom Ministerium für Umwelt und Energiesicherheit zur Förderung der Nachhaltigkeit des italienischen Weinsektors eingeführt. Mit dabei von Beginn weg waren Betriebe wie F.lli Gancia & Co., Marchesi Antinori, Masi Agricola, Mastroberardino, Michele Chiarlo, Planeta, Tasca d’Almerita und Venica & Venica. Das Programm zielt darauf ab, ein Produktionsmodell zu schaffen, das die Umwelt respektiert und das Gebiet aufwertet, um so die Qualität der italienischen Weine zu schützen und die Chancen auf dem internationalen Markt zu verbessern. VIVA ist öffentlicher Standard für die Messung und Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung des Weinbaus in Italien. Er betrifft Unternehmen und andere Akteure des Weinsektors mit dem Ziel, immer nachhaltigere Produktions und Verbrauchsmodelle einzuführen. Die obligatorische Verwendung von VIVA-Vorgaben ermöglicht es, die Umwelt-Auswirkungen zu messen und zu überwachen. Aktuell sind 174 Betriebe involviert, darunter 15 Genossenschaften.
Das Sortiment der Tenuta Monteti ist schlank, man fokussiert sich auf zwei rote Cuvées, Caburnio und Monteti, sie sind das Resultat eines aufwendigen Selektionsprozesses; der Rosé zielt auf die lokale Kundschaft der Strandrestaurants ab, und gewiss trinkt man ihn während des Sommers auf Monteti auch selber gerne. Das Prozedere ist ausgeklügelt: Während der Erntezeit werden täglich die Trauben einer der schachbrettartig angelegten Hektaren geerntet, ausschliesslich von Hand, und auf einem Sortiertisch werden die Beeren nochmals kontrolliert und wenn nötig ausgesondert. Jede Partie wird einzeln vinifiziert, je nach Sorte und Beschaffenheit kommen Stahltanks oder Barriques zum Einsatz. Nach einem Jahr beginnt das Assemblieren: Was als Caburnio definiert ist, wird bald abgefüllt, was Monteti sein kann, reift als Cuvée während sechs bis acht Monaten in französischen Barriques. Bevor die beiden Weine in den Verkauf gelangen, verfeinern sie sich – im Fall des Caburnio – während eines Jahres in der Flasche, beim Monteti sind es zwei Jahre.
Der Caburnio setzt sich fast immer aus den Sorten Cabernet Sauvignon, Merlot und Alicante Bouschet zusammen, der Anteil von Cabernet variiert zwischen 50 und 60 Prozent, den Rest teilen sich die beiden anderen. Cabernet Sauvignon sorgt für die Struktur, Merlot für den Schmelz und Alicante Bouschet für Frische und Rasse. Letztere Sorte geht auf Henri Bouschet zurück, er kreuzte 1855 Garnacha beziehungsweise Grenache mit Petit Bouschet. Verbreitet ist die Sorte hauptsächlich im Süden Frankreichs, in Algerien und an der spanischen Levante, dort nennt man sie meist Garnacha tintorera.
Bei der Cuvée Monteti dominiert indes Petit Verdot, ihr Anteil beträgt meist zwischen 50 und 60 Prozent, den Rest teilen sich etwa hälftig Cabernet Sauvignon und Cabernet franc. Nur in den ersten beiden Jahrgängen 2004 und 2005 waren auch Alicante Bouschet und Merlot Teil der Cuvée. Petit Verdot wird als «cavallo ribelle» bezeichnet, als rebellisches Pferd, Cabernet Sauvignon als Strukturträger und Garant für Langlebigkeit geschätzt, Cabernet franc als verbindendes und weibliches Element. Heisse und kühlere Jahrgänge wechseln sich ab und prägen den Monteti ganz wesentlich. Bemerkenswert ist in jedem Fall das Alterungspotenzial.
Auch aus diesem Grund lagert die Tenuta von Eva Baratta und Javier Pedrazzini beachtliche Vorräte von Flaschen aus Jahrgängen, die sie zu einem späteren Zeitpunkt nochmals in den Verkauf bringen, aktuell ist es Jahrgang 2012. Er zeigt, wie sehr sich manchmal das lange Warten lohnt.
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