Mindestens seit dem Jahr 1868 kennt die Welt Wein der Sorte Piesporter Goldtröpfchen. Grund genug, das Jubiläum einer der bekanntesten Lagen Deutschlands zu feiern. Das Riesling-Amphitheater der Mosel zeigt mehr denn je, was in ihm steckt.

Sechs Mark kostete eine Flasche vom Piesporter Goldtröpfchen des Jahres 1868. Es war die Zeit des gerade gegründeten Deutschen Kaiserreiches, und die Berliner begeisterten sich mehr und mehr für deutschen Wein. Auch für jenen einer Weinlage an der Mittelmosel, nicht weit vom Ufer entfernt, günstig zur Sonne ausgerichtet. Winzer Michael Hain verkaufte 1875 ein paar Flaschen Goldtröpfchen an einen Kunden in Berlin, und obwohl es sich nicht um eines der allerbekanntesten Güter des Anbaugebietes handelte, konnte der Mann stolze Summen erlösen. Deutlich mehr als 100 Franken pro Flasche zahlte der Liebhaber nach heutigen Kaufkraftmassstäben für den 1868er, von dem nichts weiter bekannt ist als die Lage und der Erzeuger. Vermuten lässt sich immerhin, dass Riesling in der Flasche war, denn schon 1763 hatten die Piesporter nach Überzeugungsarbeit ihres Ortspfarrers Johannes Hau den Beschluss gefasst, sich ganz auf diese Sorte zu konzentrieren. Das Kellerbuch Michael Hains ist die älteste erhaltene urkundliche Erwähnung der Lage Goldtröpfchen und Grundlage des 150-jährigen Jubiläums, das im Sommer dort gefeiert wurde, wo man halt am liebsten feiert, wenn das Wetter mitspielt: im Weinberg. Dass Winzer schon vor 1868 den Namen Goldtröpfchen nutzten, ist zwar wahrscheinlich, aber einstweilen nicht zu beweisen.

Wie genau der Sechs-Mark-Wein geschmeckt hat, lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Restbestände existieren nach zwei Weltkriegen und diversen Umwälzungen nicht mehr. Anders als im Rheingau und in der Pfalz, wo schon im 19. Jahrhundert stolze Domänen Flaschenarchive anlegten, dachten die Produzenten und Kellereien an der Mosel selten in historischen Dimensionen. Gut möglich aber, dass es sich beim 1868er um einen jener Moselweine handelte, wie sie damals Standard waren: nicht allzu alkoholreich, würzig, in den traditionellen, 1000 Liter fassenden Eichenfudern ausgebaut und weitgehend trocken. In Zeiten ohne moderne Kellertechnik gärten viele Weine bis hinab zu kleinen Zuckerresten durch, der Säureabbau könnte zu einem gewissen Schmelz beigetragen haben. Dass es sich bei den Preisen für den 1868er nicht um eine Ausnahme handelte, beweisen unzählige Restaurantkarten und Händlerlisten des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. Weine von der Mosel und der Saar, aus Piesport, Bernkastel, Wiltingen oder Ockfen, wurden damals häufig teurer gehandelt als erstklassige Bordeaux.

Ein Goldtröpfchen wertvoller als ein Mouton Rothschild? Das ist heute kaum noch denkbar, wenn man mal von den hochkarätigen Auslesen und Beerenauslesen absieht. Schön wäre es ja bereits, wenn die Winzer zusätzlich zu ihren Kosten genug Reserven einspielten, um auch schwierige Jahrgänge wie 2016 – hohe Feuchtigkeit und Krankheitsdruck im Frühjahr – locker verkraften zu können. In Piesport ist man da zumindest auf dem richtigen Weg. Johannes Haart (Weingut Haart) ist längst auch in den USA für seine Weine bekannt, Julian Haart wird als Nachwuchsstar gefeiert, der bescheidene Gernot Hain, Nachfahre des Goldtröpfchen-Pioniers, gilt als Tipp für Insider. Ebenso wie Mario Schwang, der mit saftigen Kabinetten und Spätlesen, für wenige Euro ab Hof erhältlich, aufwartende Chef des Weinguts Reuscher-Haart. Sogar eine Zusammenarbeit der Winzer, früher kaum denkbar unter sturen Moselanern, ist nun realistisch. Julian Haart und Andreas Adam aus Neumagen-Dhron, gleich nebenan, praktizieren sie und keltern einige der faszinierendsten Goldtröpfchen-Weine auf dem Markt.

Vom ursprünglichen Goldtröpfchen, wie es auf alten Lagenkarten eingezeichnet ist, unterscheidet sich die heutige Lage indes deutlich. Das 1971 in Kraft getretene Weingesetz vergrösserte die Fläche, heute nimmt das Goldtröpfchen knappe 64,5 Hektaren der mehr als 400 Hektaren Reben auf Gemeindegebiet ein. Ein Amphitheater, weitgehend nach Süden ausgerichtet, mit stark verwittertem Devonschiefer samt Quarziteinschlüssen. Bessere Stücke gibt es hier und weniger exzellente, solche mit jüngeren Reben und welche, auf denen noch wurzelechte Pflanzen gedeihen, mehr als 110 Jahre alt. Richtig schlechte Teile dagegen existieren nicht, die Wasserversorgung ist generell gut. Wussten wohl schon die römischen Winzer, die hier Reben pflanzten und eine historische Kelteranlage hinterliessen. Auch in den Jahrhunderten danach müssen in Piesport immer wieder grandiose Weine erzeugt worden sein, die Chroniken sind voll des Lobes. Nur über die Ursprünge des Namens Goldtröpfchen verraten sie nichts. Ein Hinweis auf die dunkle Farbe des besonders gut ausreifenden Weines? Eine Beschreibung jenes Vorganges, bei dem im Herbst winzige Tropfen Fruchtsaft die dünn gewordene Beerenhaut durchstossen? Keiner weiss es. Wichtiger ist eher, dass die Goldtröpfchen-Rieslinge oft erst nach 10 oder 15 Jahren ihren geschmacklichen Höhepunkt erreichen und vielfach auch nach 20, 30 oder 40 Jahren mit grösstem Genuss zu trinken sind. Nach Steinobst und Kräutern duften sie häufig, manchmal nach tropischen Früchten, hin und wieder nach Cassis, wirken selbst in warmen Jahren meist ausgewogen, versprühen eine Eleganz, die auch an der Mosel nicht überall zu finden ist.

SHORT FACTS GOLDTRÖPFCHEN
ANBAUGEBIET Mosel GEMeinden Piesport, Neumagen-Dhron
REBLÄCHE 64,5 Hektaren
REBSORTEN Riesling plus ein kleiner Anteil Spätburgunder
ERSTE URKUNDLICHE ERWÄHNUNG 1875
ERSTER NACHGEWIESENER JAHRGANG 1868
BÖDEN Blaugrauer Devonschiefer mit Quarzit
AUSRICHTUNG Südost bis Südwest

WEINE PIESPORTER GOLDTRÖPFCHEN