Wenig hätte gefehlt, und ein Kompetenzzentrum von überregionaler Bedeutung wäre in unbedeutende Einzelteile zerlegt worden. Der Entscheid des Bundesrats, die Forschung und Berufsbildung im Weinbereich in der Westschweiz zu zentralisieren, mobilisierte die Deutschschweizer Weinbranche, und unter Federführung des Branchenverbands Deutschschweizer Wein (BDW) konnte eine neue Trägerschaft auf die Beine gestellt werden. Sie startete am 1. Januar 2018 den Betrieb des Weinbauzentrums Wädenswil.

Die beiden Dreistand-Co-Betriebs leiter: Lorenz Kern (links) und Kellermeister Thierry Wins. (Foto: Hans-Peter Siffert / www.weinweltfoto.ch)

Drei Schwerpunkte stehen im Vordergrund: Labor und Analytik, Wissenstransfer sowie angewandte Forschung im Weinbau und in der Önologie – inklusive Eigenproduktion. Diese ist nicht unbedeutend, von den etwas über 10 Hektaren, verteilt auf drei Standorte, werden jährlich seit 2018 rund 60 000 Flaschen abgefüllt. Unterteilt in die drei Linien «Stäfa Sternenhalde» und «Halbinsel Au» mit reinsortigen Weinen aus, bezogen auf die Lage, charakteristischen Sorten, sowie «Dreistand» mit Weinen verschiedener Lagen, reinsortig oder als Cuvée ausgebaut.

Als 1890 die deutschschweizerische Versuchsstation und Schule für Obst-, Wein- und Gartenbau Wädenswil eröffnet wurde, war der Kanton Zürich mit über 5500 Hektaren hinter dem Tessin und dem Waadtland der grösste Schweizer Weinbaukanton, die Anbauflächen waren etwa doppelt so gross wie im Wallis. Man holte sich als ersten Direktor einen Star: Hermann Müller, besser bekannt unter dem Namen Müller-Thurgau, also mit dem Hinweis auf seine Herkunft. Von 1876 bis 1890 arbeitete er in leitender
Stellung an der pflanzenphysiologischen Abteilung der Forschungsanstalt Geisenheim. Von Müller-Thurgau sind 330 Publikationen bekannt, die Bekanntheit seines Namens geht aber auf eine Züchtung im Jahr 1882 zurück.

1894 wurde sie ausgebracht und ab 1897 von Mitarbeiter Heinrich Schellenberg mittels Stecklingen vermehrt. Die ersten Veredelungen auf Unterlagsreben erfolgten 1901 und zwei Jahre später konnten die ersten Ertragsanlagen erstellt werden. 1908 kamen 22000 Pfropfreben in der Schweiz und im Ausland in den Umlauf, 1913 auch in Deutschland, hier allerdings nicht unter dem Namen der beiden vermeintlich gekreuzten Sorten Riesling und Silvaner, sondern als Müller-Thurgau. Schon 1957 wies der Deutsche Heinz-Martin Eichelsbacher das Fehlen von Silvaner-Anteilen nach, doch es dauerte noch bis 1999, dass die Elternschaft aufgrund der DNA-Analyse festgelegt werden konnte: Riesling und Madeleine royale, letztere eine Kreuzung aus Pinot und Trollinger. Unabhängig von dieser etwas verwirrenden Familiengeschichte wurde Müller-Thurgau ein grosser Erfolg, heute stehen knapp 19000 Hektaren weltweit im Ertrag, ein Teil davon auch in den Rebbergen des Weinbauzentrums Wädenswil.

Der Start in Wädenswil mit prominenter Besetzung lief gut an. 1903 konnte ein schöner Backsteinkeller eingeweiht werden, wo auch heute vinifiziert wird. Das Auftreten der Reblaus führte aber schon wenige Jahre später zu einem Einbruch der Produktion. Auf der Halbinsel Au mussten 1912 die gesamten 4,5 Hektaren gerodet werden. Erst 1950 kam es unter anderem auf Initiative des an der damaligen Fachschule für Obst- und Weinbau tätigen Walter Eggenberger zu einer Neupflanzung. Heute ist es die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), welche Pachtverträge mit dem Kanton eingegangen ist. Die ZHAW beauftragt das Weinbauzentrum Wädenswil mit der Bewirtschaftung und Vermarktung. Die Halbinsel Au ist mit 5,4 Hektaren die grösste der drei Lagen. Hier befindet sich auch der Sortengarten mit über 250 Varietäten, darunter sind über 140 für die Schweiz bedeutende Typen. Zudem werden über 40 Erziehungssysteme gezeigt und für Laien regelmässig Rebbaukurse angeboten. Auf der gegenüberliegenden Seeseite, in Stäfa, liegt die Sternenhalde. Rund die Hälfte der knapp 7 Hektaren grossen Lage wird durch die Wädenswiler bewirtschaftet, verantwortlich dafür ist Bernhard Wyler, langjähriger Betriebsleiter von Schloss Salenegg. Durchzogen von steinigen Nagelfluhbändern ist der Boden karger als an den vielerorts lehmhaltigen Böden der Goldküste. In der Sternenhalde werden vor allem Burgundersorten und Räuschling kultiviert.

Der kleinste der drei Rebberge liegt unterhalb des Wädenswiler Schlosses in unmittelbarer Seenähe. Auf den 1,3 Hektaren auf schluffigen, lehmigen Böden reifen in erster Linie Blauburgunder und Müller-Thurgau. Für die Kelterung der reichhaltigen Palette ist Thierry Wins zuständig.

Zur Trägerschaft des Weinbauzentrums Wädenswil – sie ist als Aktiengesellschaft organisiert – gehören die Deutschschweizer Branchenverbände, kantonale wie auch die Dachorganisation BDW, Agroscope, die ZHAW, das landwirtschaftliche Ausbildungszentrum Strickhof in Winterthur sowie Private. Der Verwaltungsrat wird von Kaspar Wetli geleitet. Wetli präsidierte bis in diesem März den Branchenverband Deutschschweizer Wein. Sein Nachfolger Martin Wiederkehr sitzt ebenfalls im Verwaltungsrat wie auch Gialdis Önologe Fredy De Martin. Als Geschäftsführer ist seit November 2019 Sieghard Vaja tätig. Der Südtiroler hat in Geisenheim, in San Michele all’Adige und an der Universität von Udine Getränketechnologie, Weinbau und Kellerwirtschaft studiert und verfügt über weltweite Berufserfahrung.

DREISTAND WEINE