Das Leben in der Toskana hat Vor- und Nachteile. Barbara Widmer, die Chefin von Brancaia, kennt sie alle und weiss auch, wie das Leben in Italien verändert. «Meine Kinder reden besser Toskanisch als Schwiizertütsch.» Vorteilhaft ist der Platz, den das Anwesen bietet und der gerade in Corona-Zeiten Freiheiten bot, nachteilig die Strecke, die man als Teenie zurücklegen muss, um dort anzukommen, wo das Leben tobt: in Siena oder Firenze.

Über solche Alltagsprobleme werden Brigitte und Bruno Widmer wohl nicht lange nachgedacht haben, als sie das Projekt Brancaia vor 40 Jahren starteten. Zunächst bloss ein Ferienhaus, eine überschaubare Rebfläche. Sieben Hektaren waren es am Anfang, inzwischen sind drei Lagen mit nicht weniger als 80 Hektaren Teil des von der Tochter der Gründer geführten Unternehmens. Statt 20 000 Flaschen, wie zu Beginn, werden heute rund 700 000 Flaschen pro Jahr abgefüllt. Und anstelle des Drei-Personen-Teams von einst arbeiten inzwischen 32 Menschen am Projekt Brancaia, das längst zwei Kellereien umfasst – neben der in Radda im Chianti-Gebiet jene in der Maremma. Auch das Programm wurde deutlich erweitert. Waren es ursprünglich zwei Weine, sind es heute neun. Brancaia, sagt Barbara Widmer, sei inzwischen auf der ganzen Welt bekannt, werde auf 45 Märkten vertrieben.

Brancaia feiert 2021 sein 40-jähriges Jubiläum. Für Barbara Widmer, Geschäftsführerin und Önologin von Brancaia, war 2018 die 20ste Ernte. Selber feiert sie dieses Jahr einen runden Geburtstag – ihren 50sten.


Bekannt ist das Unternehmen für seine Qualität, die im 1988 erstmals erzeugten Spitzenwein Il Blu seinen Höhepunkt findet, aber auch für das aussagekräftige Etikett. Eines, dessen kühle, zeitlos wirkende Eleganz der Erfahrung des Werbeprofis Bruno Widmer und seiner Mitarbeiter zu verdanken ist. Etwas sehr Spezielles sei da in grafischer Hinsicht entstanden, so Barbara Widmer, die ja nicht von vornherein eine Berufung als Winzerin verspürte, die stattdessen erst Architektur studierte, später im Weinhandel begann, in der Domaine des Balisiers hospitierte, schliesslich das Studium der Önologie aufnahm und abschloss. Zehn Jahre nach dem ersten Il-Blu-Jahrgang wurde sie Chefin auf Brancaia. Mit dem Status quo will sich die Winzerin freilich nicht begnügen. Immer wieder in der Geschichte des Weingutes wurde geschraubt und getüftelt. So habe man irgendwann etwa entschieden, die eigene Hefe züchten zu wollen. Doch wäre das wirklich das Optimum gewesen? «Nach viel Forschung sind wir dann zu dem Punkt gekommen, dass wir spontan vergären», berichtet Barbara Widmer. Seit 2012 ist diese Form der Gärung Standard für alle Rotweine. Aber es hat sich noch mehr geändert. Seit 2010 werden alle Weinberge begrünt, ab 2015 verzichtete das Weingut komplett auf Pestizide und Herbizide, und im Folgejahr begann es mit der Umstellung auf ökologischen Weinbau; seit 2019 ist Brancaia biozertifiziert. Während immer noch jede Parzelle separat ausgebaut wird, hat man den Ausbau des Il Blu modifiziert. Der 2018er reifte nur noch 18 statt 20 Monate in Barriques, die zu zwei Dritteln neu waren, wurde danach aber nicht abgefüllt, wie es bislang üblich war, sondern durfte nochmals drei Monaten in Betontanks finalen Schliff bekommen. Dem Wein scheint diese Phase der Ruhe gutgetan zu haben. Der 2018er mit dem ausnahmsweise teils goldenen Etikett und der schicken Prägung in der Flaschenmündung ist ein kraftvoller, balancierter und bei aller Struktur eleganter Super Tuscan. Ein würdiger Jubiläumswein.

2018 IL BLU
Brancaia,
Radda in Chianti
80 % Merlot, 10 % Sangiovese, 10 % Cabernet Sauvignon
Offene, primäre, dunkle Frucht, etwas Maulbeeren, frische sowie kandierte Kirschen, später auch etwas florale Noten, offen wirkend, vielschichtig.
Im Mund zupackend, enorm saftig, gleichzeitig fest, dicht, harmonisch, animierende Säure, bereits in diesem Stadium balan­ciert wirkend, würzig,
lang, Potenzial für eine höhere Note.
18/20 2023–2037

2016 IL BLU
Brancaia,
Radda in Chianti
70 % Merlot, 25 % Sangiovese, 5 % Cabernet Sauvignon
Klar, reif, noch nicht ganz offen, dunkle Frucht­note, schwarze Kirschen, reife Zwetschgen, Brom­beeren, Hauch geriebener Kakao, später auch Trockenkräuter. Im Mund straff, zupackend, eher saftig als fest, animierende Säure, sehr feine Tannine, würziger, frischer, langer Nachhall.
18/20 2022–2036

2010 IL BLU
Brancaia,
Radda in Chianti
50 % Sangiovese, 45 % Merlot, 5 % Cabernet Sauvignon
Kompakte, klare, ver­gleichsweise verhaltene Frucht, betont dunkle Frucht, schwarzer Tee, Brombeeren, Cassis, auch etwas Zwetschgen, cremig­würzige Anklänge. Im Mund dicht, sehr fest, im ersten Moment noch in sich zurückgezogen, dann feine Tannine und animierende Säure deut­lich werdend, Zwetschgen im langen, frisch wirkenden Nachhall.
18/20 trinken –2032

2006 IL BLU
Brancaia,
Radda in Chianti
50 % Sangiovese, 45 % Merlot, 5 % Cabernet Sauvignon
Sehr offene, mittel­ warme, klare, reif wirkende Frucht, dunkle Beeren, vor allem Brom­beeren, ganz leicht nussig­cremige Würze, je eine Spur Milch­ und Nussschokolade, auch etwas getrocknete Früchte. Im Mund dicht, kraftvoll, saftig, mine­ralischer Eindruck, würzig, lang, sehr gelungen.
19/20 trinken –2030

1998 IL BLU
Brancaia,
Radda in Chianti
60 % Sangiovese, 35 % Merlot, 5 % Cabernet Sauvignon
Im Vergleich mit dem 1994er verschlossener, dunkler in der Farbe,
auch von dunklerer Frucht geprägt, Brombeeren, Leder, Spur heller Tabak, mediterrane Kräuter, mit der Zeit immer nus­siger, Hauch Kakao. Im Mund zupackend, saftig, animierende Säure, straff, würzig, kompakt und dicht, aber den­ noch fein mit würzigem, frisch wirkendem Nachhall mit optimal integrierten Tanninen, ganz leicht trocknend, macht sehr viel Spass.
18/20 trinken –2029

1994 IL BLU
Brancaia,
Radda in Chianti
60 % Sangiovese, 40 % Merlot
Offene, kühle Frucht, zunächst etwas scharf wirkend, dann fein und elegant, noch recht frisch, Noten von cremigen, mittelroten Kirschen, etwas Leder, später auch rote Beeren und Kirsch­likör sowie je ein Hauch geriebener Kakao, Unterholz und Trocken­kräuter. Im Mund straff, recht fest, kühle Frucht, nicht allzu lang, fein, ganz leicht trocknend im mittellangen Nachhall, vielleicht keine optimal gereifte Flasche.
17/20 trinken –2025

www.brancaia.it

Erhältlich bei:
Vinothek Brancaia
Seefeldstrasse 299, 8008 Zürich
Fon 044 422 45 22
www.vinothek­-brancaia.ch