Heute steht Carnuntum für ein kleines und im Ausland noch wenig beachtetes österreichisches Anbaugebiet. Auf 900 Hektaren werden je hälftig Weissweine und Rotweine gekeltert. Die bekannteste Abfüllung heisst Rubin Carnuntum, ein reinsortiger Zweigelt, der ab 1992 erfolgreich auf dem österreichischen Markt eingeführt wurde. Immer mehr Winzer wollen jedoch mehr. Sie pröbeln mit weissen Burgundersorten, cuvetieren rote Varietäten und loten das Potenzial des Blaufränkisch aus. Die SCHWEIZERISCHE WEINZEITUNG verkostete eine Auswahl von 50 Weinen, präsentiert 10 besonders gelungene Abfüllungen und führte mit Dorli Muhr-van der Niepoort, die am Spitzerberg vielbeachtete Weisse und Rote keltert, ein Gespräch über die Ernte 2017, die Hinwendung zu Lagenweinen und fragte, weshalb die Carnuntiner sich durch vorsichtigen Optimismius auszeichnen.

Dorli Muhr-van der Niepoort:
«Wir müssen
aus der Kleinheit
eine Stärke
machen»

Dorli Muhr gründete 1991 die Weinagentur Wine & Partners in Wien. Zu den Kunden zählen die Douro Boys, Vina Montes, Penfolds und eine Vielzahl österreichischer Winzer. 2002 erwarb sie, frisch verheiratet mit Dirk van der Niepoort, einen ersten Rebberg am Spitzerberg. Heute verfügt das Weingut in Carnuntum über 12 Hektaren und produziert jährlich rund 30 000 Flaschen.

Dorli Muhr, wie war Ihre Ernte am Spitzerberg?
Hervorragend. Nach katastrophalen Monaten ist dies umso überraschender: Frost Ende April und Anfang Mai, ein zu trockener Sommer, viel Regen vor der Ernte. Die Trauben, die wir geerntet haben, waren jedoch perfekt und gesund.

Was hat diesen Umschwung ausgelöst?
Die Niederschläge in den letzten Wochen taten den Trauben offensichtlich gut. Vorher waren sie nur süss, doch ohne Geschmack. Dank dem Wasser entwickelt sich der Sortencharakter. Mir kam es vor wie bei einem Neugeborenen: erst ist es nur schrumpelig, doch bald schon prall.

Das Wetter während der Erntewochen kam Ihnen ja sehr entgegen …
Es war eine flotte Ernte, während des Tages trocken und sonnig, in der Nacht kalt. Dies konservierte die Säure, ohne dass der Zucker zunahm. Die Gradation der Weine liegt bei 13 Volumenprozent, vereinzelt auch höher – mir wäre etwas weniger lieber. Auch mit der Erntemenge bin ich zufrieden, sie liegt bei den von uns angepeilten 3000 Kilogramm pro Hektare.

Wie kam es dazu, dass Sie sich ausgerechnet am Spitzerberg engagierten?Meine Grossmutter besass hier einen kleinen Weingarten, und ich selber bin ja auch in der Gegend aufgewachsen (Anmerkung: in Rohrau, Geburtsort Joseph Haydns). Schon immer wollte ich Wein machen und kaufte mir dafür vor über zwanzig Jahren Land in der südlichen Toskana. Doch dann lernte ich Dirk van der Niepoort kennen und lebte lange Jahre mehrheitlich in Portugal. Dort wuchs mein Bedürfnis, frische Weine zu keltern. Doch wo? Gewiss nicht in der Toskana. Ich erinnerte mich meiner Herkunft, und ich wusste, dass es hier Zeiten gegeben hatte, in denen sehr Gutes entstanden war. Im Jahr meiner Heirat mit Dirk (Anmerkung: 2002) fuhren wir hierhin und sagten uns: Probieren wir es aus. Wir kauften eine erste Parzelle, pflanzten neu, machten Erfahrungen und so ging das weiter und weiter.

Der Spitzerberg ist für Sie zu einer Herzensangelegenheit geworden. Sie nennen ihn an erster Stelle, dann Blaufränkisch, dann Carnuntum …
Das gilt für mich wie auch für andere. Vor Jahren trommelten wir eine Gruppe ambitionierter Winzer zusammen und fragten uns: Was macht den Spitzerberg aus? Und wie können wir das im Weinglas nachvollziehbar machen, so dass jeder sagt: Das muss ein Spitzerberg sein. Dieser konstruktive Prozess mit einem Dutzend Betrieben läuft nun schon länger als zehn Jahre. Bis zum Grand Cru liegt allerdings noch viel Arbeit vor uns.

Weshalb dauert das so lange?
Wenn ich eine neue Parzelle übernehme, geht es mindestens fünf Jahre, bis sie im Gleichgewicht ist. Dazu trägt bei, dass wir mit biologischen Methoden arbeiten. Einen Superwein zu machen, der nicht erzählt, dass er aus dem Spitzerberg stammt, das ist nicht Sinn der Sache. Bis wir jedoch unser Ziel erreichen, braucht es viel Zeit, die muss man sich einfach geben.

Wie wird Carnuntum heute in Österreich wahrgenommen?
Wir befinden uns in einer Umbruchphase. Vor 25 Jahren wurde das Gebiet kaum beachtet. Wie vielerorts dominierten gemischte landwirtschaftliche Betriebe, Feldbauern, die auch etwas Trauben produzierten. Die Spezialisierung setzte vor etwa 20 Jahren mit dem Rotweinboom in Österreich ein. Carnuntum hat sich mit charmanten Rotweinen aus Zweigelt-Trauben beliebt gemacht. Von diesen populären Weinen hat die Region sehr profitiert. Jetzt sind wir in eine neue Phase eingetreten. Man besinnt sich auf Lagen. Es sind weniger die Höhen- unterschiede als die geologische Beschaffenheit, welche die Differenz ausmachen.

Das ist ein bedeutungsvoller Schritt. Doch ist er auch klug? Ist ein zunehmend internationaler Markt nicht besser bedient mit einem süffigen, gut gemachten Markenwein wie Rubin Carnuntum, der auch in grosser Stückzahl produziert werden kann?
Ja, das ist klug. Wir wollen doch Unterschiede! Der grösste Produzent in unserem Gebiet füllt vielleicht 100000 Flaschen ab, die andern grösseren Betriebe etwa die Hälfte davon. Wir dürfen nicht nach den gleichen Rezepten vorgehen wie die riesigen Anbieter, die viel billiger produzieren können, damit würden wir uns ins eigene Knie schiessen. Wir sind ein kleines Gebiet, das kann als Schwäche ausgelegt werden; wir müssen aus der Klein- heit eine Stärke machen. Alles über einen Kamm zu scheren, wäre der grösste Fehler.

Und wie wird Carnuntum im Ausland wahrgenommen?
Man nimmt uns zunehmend wahr. Aber ich schätze, dass zurzeit erst rund zehn Produzenten im Export aktiv sind, und dies fast ausschliesslich in Deutschland und in der Schweiz. Ich selber exportiere 70 Prozent meiner Produktion, und das in 15 Länder. Für mich ist das ausgesprochen wichtig, denn meine Weine sind nicht einfach zu verstehen, ich muss überall die richtige Zielgruppe finden. Ich bewege mich in Nischen, doch die gibt es überall.

Die Produktion in Carnuntum unterteilt sich je zur Hälfte in Weisswein und Rotwein, die Weissweine sind aber kaum präsent, obwohl, wie unsere Degustation zeigt, Vorzügliches gekeltert wird.
Die Weissen werden grösstenteils ab Hof verkauft und vieles wird als Heurigenwein gar nicht in Flaschen gefüllt. Ich glaube aber, dass das Gebiet ein grosses Potenzial für Weissweine hat. Mit Reinzuchthefen und Kaltgärungen fruchtige Safterl machen führt jedoch nicht weiter. Und wir müssen auch dazu stehen, dass es im Gebiet wärmer geworden ist. Beim Weisswein steht uns noch ein langer Prozess bevor. Meinen 2011er finde ich zurzeit top, bloss will ihn so keiner. Allein schon einen 2015er zu verkaufen, ist schwierig, alle wollen immer das Jüngste.

Warum werden Weisse wie Rote aus Carnuntum nur als Österreichischer Qualitätswein und nicht mit präziserer Herkunftsbezeichnung definiert?
Wir sind daran, ein System zu entwickeln. In Abstimmung mit den österreichischen Traditionsweingütern und dem deutschen VDP möchten wir eine Kategorisierung nach Erster Lage, Grosser Lage, Ortswein und Gebietswein etablieren. Es soll von Wien bis Bratislava Gültigkeit haben. Das wird unsere Identität stärken.

Braucht es denn in Carnuntum keine DAC (Districtus Austriae Controllatus), wie es immer mehr österreichische Gebiete kennen?
Wichtig ist uns, nichts übers Knie zu brechen und einfach über alles eine Regelung zu stülpen.

Es heisst, Carnuntiner seien sehr gelassene, geerdete Menschen, die im Einklang mit der Natur und mit vorsichtigem Optimismus lebten …
Das Gebiet ist seit Jahrhunderten Grenzland und immer das erste, das darunter litt, wenn Krieg war. Diese Unsicherheit – sie ist in der Bevölkerung tief verankert – hatte zur Folge, dass wenig Längerfristiges aufgebaut wurde. Herrschaftshäuser etwa findet man hier nicht. Vorsicht, bald stehen wieder irgendwelche Russen oder Türken vor den Toren. Wien hat man gerettet und dafür das Vorland geopfert. Solches ist in den Köpfen. Unternehmerischen Elan jedenfalls trifft man selten an.

SHORT FACTS
CARNUNTUM

ANBAUFLÄCHE 910 Hektaren
ANTEIL AN ÖSTERREICHISCHER REBFLÄCHE 2Prozent
GEBIETE Arbesthaler Hügelland, Leithagebirge, Hundsheimer Berge (Spitzerberg) ROTWEIN 55 Prozent 
ZWEIGELT 30 Prozent
BETRIEBE rund 150
WICHTIGSTERWEIN Rubin Carnuntum.
Gegründet 1992,
heute 40 Mitglieder
HERKUNFTSBEZEICHNUNG österreichischer Qualitätswein
VERWENDUNG BEGRIFF RESERVE mindestens 13 Vol.-%,
Verkauf nicht vor 15. März (Weisswein) und 1. November (Rotwein),
Nachfolgejahr Ernte (Weingesetz Österreich)

CARNUNTUM: TOP 10 VON 50 WEINEN