Wer Wasser in Wein verwandelt, tut ein Wunder. Wer Traubensaft in Wein verwandelt, übt sein Handwerk aus. Wobei er, wenn er mit Leidenschaft bei der Sache ist, die biochemischen und -mechanischen Prozesse, die bei der alkoholischen Vergärung ablaufen, immer wieder als ein kleines Wunder erlebt. «Jeder Jahrgang ist ein neues Abenteuer», sagte einmal Gérard Chave, Hermitage-Winzer in 15. Generation, als er in seinem Keller zusah und zuhörte, wie sich das schwarzrote Lesegut in den Cuves bei der Metamorphose von Frucht in edles Getränk zu verhalten beliebte. Für Chave doppelt unberechenbar, denn er lässt seinen Syrah nach Lagen getrennt vergären.

BILDER EINER VERWANDLUNG: GÄRBILDER BERÜHMTER WEINGÜTER

Forscher haben diesen Vorgang seit Mitte des 19. Jahrhunderts Detail für Detail ergründet, bis hin zur Genanalyse von beteiligten Mikroorganismen. Ingenieure haben technische Hilfsmittel entwickelt, mit denen die Gärung gelenkt, kontrolliert und zu einem guten Ergebnis geführt werden kann. Und doch bleibt um die Geburt des Weins ein Geheimnis. In den durchcomputerisierten Fabrikhallen der Massenproduzenten ist es nicht mehr zu spüren. Winzer aber, die den Weg ihrer Trauben von der Blüte bis zur Reife Schritt für Schritt verfolgt haben, immer in Sorge um widrige Wetterlagen und aggressive Schädlinge, und nun endlich den Ertrag wohlbehalten einbringen konnten: Sie werden zur Gärzeit von Unruhe erfasst. Sagen Termine ab, schlafen schlecht, verbringen viel Zeit im Keller. Noch vor wenigen Jahrzehnten erzählten manche Winzer, sie würden in kritischen Stunden sogar im Keller übernachten, um bei Eskapaden der Maische sofort einzugreifen zu können. In gut belüfteten Kellern selbstverständlich, denn die Fermentation in den offenen Behältern setzt viel Kohlendioxid frei, das geruchlos und in grossen Mengen lebensgefährlich ist. Inzwischen geschieht es dank den Fortschritten in der Vinifikation nur noch selten, dass eine Gärung empfindlich misslingt. Trotzdem sind die Weinmacher angespannt und gespannt. Zwar wissen sie einiges darüber, welche chemischen Prozesse sich zwischen den zahllosen Substanzen in den Bottichen, Becken oder Tanks abspielen; wie und mit welchen Folgen für den Wein sie sich abspielen, erfahren sie erst beim Work in progress während der Tage oder Wochen der Fermentation. In diesem Punkt ähneln sie ihren Kollegen, die in Kleinasien vor 7000 oder gar mehr Jahren entdeckten, dass aus scheinbar verdorbenen Trauben ein ganz besonderer Saft zu gewinnen ist – so berauschend wunderbar, dass er ein Geschenk der Götter sein musste. Rotwein war es. Nur um den geht es auch in dieser Geschichte.

Die Weinmacher der Antike vertrauten für den Gärbeginn auf den zuständigen Gott. Heute erleichtern schonend arbeitende Traubenmühlen den Anfang. Sie öffnen die Beerenschalen, so dass die auf den Schalen siedelnden Mikroben Zugang zu Most und Fruchtfleisch haben. Die Hauptrolle in der so entstandenen Maische spielen Hefepilze, immer häufiger nicht nur die weingutseigenen, sondern auch Reinzuchthefen. Die zu star- ker Vermehrung neigenden Einzeller ernähren sich vom Zucker in den Beeren. Dabei verwandeln sie Glucose und Fructose in Methanol, sprich Alkohol, und Kohlendioxid. Letzteres ist für das Glucksen und Blubbern der Maische verantwortlich, das Winzern süss in den Ohren klingt. Unter anderem der Alkohol und die Wärme, die bei der Arbeit der Hefen erzeugt werden, sorgen auch für die Extraktion von Farb-, Aroma- und Gerbstoffen aus den Beerenschalen.

Die Kunst des Kellermeisters besteht darin, die optimale Proportion der verschiedenen Elemente zu bestimmen. Soll er den Gärbeginn verzögern, damit sich Inhaltsstoffe teilweise schon vorher lösen? Soll er ihn beschleunigen, durch Erwärmung oder durch Zugabe von die Hefevermehrung anregendem Sauerstoff (wie es etwa Stephen Henschke in Australien macht, wenn ihm die Hefen zu träge erscheinen)? Ist es besser, die Maischetemperatur auf einem mittleren Level zu halten oder sie zeitweilig auf ein Maximum von etwa 35 Grad Celsius hochzujagen, wie es der Altmeister Werner Knipser aus der Pfalz, der viel Extrakt in seine Spätburgunder bringen will, zuweilen praktiziert?

Frei bei diesen Entscheidungen ist der Verantwortliche nicht. Der Charakter von Jahrgang und Rebsorte setzt ihm Grenzen. Beerenschalen dick oder dünn, viel oder wenig Zucker im Most, viele oder wenige Tannine – etliche Faktoren sind zu berücksichtigen. Möglichkeiten des Kellermeisters, den werdenden Wein in seinem, des Machers, Sinne zu beeinflussen, gibt es aber immer noch genug. Ein berühmtes Beispiel sind die meist extraktreichen, vollfruchtigen Schöpfungen des weltweit tätigen Weinberaters Michel Rolland aus Bordeaux. Ein anderes die lange Zeit ganz unterschiedlichen Barolo von Bruno Giacosa und Angelo Gaja. Tanninbetont und auf vieljährige Reifezeit eingerichtet der eine, der andere schon vergleichsweise jung seine Aromen offenbarend und leichter zugänglich. Auf welche Weise vergärt wird, ist auch eine individuelle Angelegenheit.

Bestimmten Regeln bei der Maischegärung folgen jedoch fast alle Winzer. So sollten etwa die Beerenschalen nie den Kontakt mit dem Most verlieren. Das kann leicht passieren, weil Schalen vom aufsteigenden Kohlendioxid nach oben befördert werden. Dort sammeln sie sich zu einer dicken Schicht, dem Tresterhut, der sie vom Most weitgehend abschliesst. Früher wurde der Pfropfen mit Stangen untergetaucht und zerstossen, im Burgund hält man vielerorts an dieser Tradition fest. Einfacher und allgemein gebräuchlich ist es, Most aus dem unteren Teil des Gärbehälters nach oben und über den Tresterhut zu pumpen.

Die Fermentation endet, wenn aller Zucker verbraucht ist. Die Hefen, auch geschädigt durch den mittlerweile hohen Alkoholgehalt des Weins, sterben ab und sinken auf den Boden, mit ihnen alles, was noch im Bottich oder Tank schwimmt. Die Metamorphose ist vollzogen. Dank einer gigantischen Leistung winziger Lebewesen.

***

25 Jahre lang, von 1976 bis 2001, hat Johann Willsberger für sein Magazin «Gourmet» die besten Gerichte jener Köche fotografiert, die bei der kulinarischen Revolution in Westeuropa die treibenden Kräfte waren. Hat mit seinen ästhetischen Bildern einen neuen, klaren Stil der Food-Fotografie geprägt und zugleich eine visuelle Dokumentation vom Eroberungszug der neuen Esskultur geschaffen. Von Beginn an war ein grosser Teil des Magazins einer parallel verlaufenden Revolution gewidmet: der des Weins. Willsberger reiste nach Italien zu den Aussenseitern, die den Chianti und den Brunello erneuern wollten, nach Frankreich, wo sich in Bordeaux und im Elsass Widerstand gegen schlechte Traditionen regte, nach Österreich, wo die kleine Minderheit qualitätsbewusster Winzer nach dem Glykolskandal plötzlich gefeiert wurde. Die mühsame Wende des deutschen Weins zum Guten war ohnehin ein Dauerthema. Es folgten viele Reisen nach Kalifornien, Australien, Neuseeland. Die Ausbeute waren Freundschaften mit Weinmachern, Fotos – und eine schnell zunehmende Weinerfahrung. Seine Kollektion guter Flaschen wuchs mit. Sie enthält keineswegs nur Berühmtheiten, Willsberger hat eine Schwäche für individualistische, modeferne Gewächse, deren Stärke nicht der Wohlgeschmack ist, sondern der eigenwillige Charakter.

Als der in der Schweiz lebende Österreicher, Jahrgang 1941, «Gourmet» aufgab, um endlich seit Langem geplante Projekte zu realisieren, von unkonventioneller Fotografie bis zu massiven Metallskulpturen, stand Wein im Mittelpunkt, und so ist es geblieben. Ein vollendetes Projekt sind die im Original grossformatigen Bilder von vergären- den Rotweinen. Auf einer Weintour in Australien, sagt Willsberger, habe er die Idee gehabt – und sich dabei geärgert. «So ziemlich alles, was mit Wein zu tun hat, habe ich fotografiert, Reblandschaften, Trauben, Châteaux, moderne Wineries, Keller, Fässer, Flaschen, Etiketts, Lichteffekte beim Wein im Glas, Winzer, Winzerinnen – nur nicht, wie Wein entsteht. Und ich war doch oft genug dabei.»

Im Eden Valley entdeckte er das visuelle Potenzial des Motivs: «Ich stand bei Stephen Henschke im Keller, wo der Shiraz des ‹Hill of Grace› gärte. Beim flüchtigen Blick nur eine von hellem Most durchflossene dunkle Traubenmasse, bei genauem Hinsehen ein bewegter, von Inselchen gesprenkelter Ozean. Meine Assoziation war: Ursuppe.»

Das wurde dann auch der Arbeitstitel, als Willsberger beschloss, eine Serie von 20 Gärbildern in Angriff zu nehmen. Alle von grossen Rotweinen unterschiedlicher Edelreben: Romanée-Conti, Margaux, Rayas, Pingus, Martha’s Vineyard… Das bedeutete: weite Reisen und Planung auf die Gärsaison hin, Zeitfenster 18 bis 24 Tage. Willsberger: «Ich erkundigte mich nach den voraussichtlichen Terminen und flog hoffnungsvoll los.» Kein einziges Mal kehrte er ohne das erhoffte Bild zurück. Die Erlaubnis, in den Kellern zu fotografieren, und das noch zu einer hektischen Zeit, erhielt er ohne Umstände – viele der Winzer kennt er seit Jahrzehnten, und alle erinnern sich an seine Fotos in «Gourmet». Willsberger machte seine Aufnahmen mit einer leistungsstarken Digitalkamera und eigenem Licht. Das durchgehende Konzept war, die Maische vom Rand des Gärbehälters von schräg oben zu fotografieren. Bei niedrigen Bottichen genügte dafür eine Kiste, bei höheren musste eine Leiter her. Wie bei Romanée- Conti, wo der Kellermeister auf einem Brett stehend den Chapeau mit einer langen Stange untertauchte, dicht vor Kamera und Kopf des Fotografen.

Erstmals ausgestellt wurden die Gärbilder 2010 im Kloster Eberbach im Rheingau. Im Grossformat wird überdeutlich, woher ihre Anziehungskraft schon beim flüchtigen Blick rührt. Es ist die Gewalt, mit der sich die Verwandlung des Rohstoffs in das Kulturgut Wein in bestimmten Gärphasen vollzieht. Most schäumt, Beeren türmen sich auf, werden von Strömungen mitgerissen, wirbeln durcheinander. Ein Kampf, ein Chaos. Selbst wenn die Masse ruht, wirkt es, als könne sie jeden Moment wieder losbrechen. Wer die Bilder mit einigem Abstand zur önologischen Realität betrachtet und seine Fantasie spielen lässt, wird mit Staunen sehen, dass die Gärung an der Oberfläche Landschaften bildet. Ein Gebirge, eine Lavawüste, eine Insel im Golf, ein Labyrinth oder eine Galaxie. Und wer noch einen Schritt weitergeht, kann die Aufnahmen – die authentisch sind, in keiner Weise bearbeitet – als Kompositionen aus Formen, Farben und Strukturen verstehen. Abstrakte Kunst. Wer wären dann die Künstler? Die Hefen natürlich.