ZWISCHEN BLANC-DE-BLANCS FLASCHEN «Ich glaube, das war das schwierigste Foto, das ich jemals gemacht habe. Weil ich meinen Körper von vorn und von hinten bemalen musste wegen der Spiegel und der Ref lexionen; das war ein Novum für mich. Frédéric Panaïotis half mir mit diesem Bild, welches das letzte in der Serie ist, die in den Weinbergen begann. Da ist eine Orientierungslosigkeit in diesem Foto, das ich am meisten von allen liebe. Du fragst dich, was du siehst und ob es Realität oder eine Projektion der Reali- tät ist. So sehr zieht die Maison Ruinart dich hinein.»
DEGORGIER-FLIESSBAND MIT ARBEITERN «Ich war schon immer fasziniert von Menschen, die produzieren. Ich finde, sie sind diejenigen, die die Welt in Bewegung halten. 2006 habe ich ein Bild mit chinesischen Arbeitern geschaffen, eine unvergessliche Erfahrung. Hier empfand ich das Gleiche. Fotos mit vier Modellen sind nie einfach, aber sie blieben völlig auf ihr Werkzeug konzentriert. Die Stimmung in diesem Bild grenzt an Science-Fiction.»
Liu Bolins Kunst ist eine Kombination aus Skulptur, Gemälde, Foto und Performance.
Vorbereitungen für das Bild im Kalkstein-Gewölbe der Kellerei, in dem Liu Bolin buchstäblich verschwindet. »Camouflage lässt den Betrachter glauben, dass da nichts ist, obwohl tatsächlich etwas oder jemand da ist«, erklärt Philippe Dagen im Vorwort der Bolin-Monographie.

«Wir setzen uns für die Kunst ein, indem wir grosse, internationale Kunstmessen unterstützen», sagt Frédéric Dufour, Präsident des Champagner-Hauses Ruinart. Mittlerweile sind es weltweit rund 30 Kunst-Events, darunter die ART in Basel, Miami und Hongkong. Vor allem aber bestimmt Ruinart jedes Jahr einen «Künstler des Jahres», der zum Arbeiten in die Champagne nach Reims eingeladen wird. Eine Idee mit langer Geschichte, die bis ins Jahr 1895 zurückreicht: André Ruinart beauftragte damals den tschechischen Künstler Alphonse Mucha, ein Plakat für das Haus zu kreieren – Mucha war seinerzeit einer der bekanntesten Vertreter des Jugendstils, der die Plakatkunst der Belle Epoque prägte.

Die Zuammenarbeit zwischen Ruinart und Bolin begann im Jahr 2017, mit einem ersten Besuch des chinesischen Künstlers in Reims. Liu Bolin, 45, durfte Ruinart in aller Ruhe auskundschaften, um die Kultur des Hauses kennenzulernen. Der Performance-Künstler wählte in dieser Zeit die geeigneten Locations für seine Fotografien im Jahr 2018 aus. Vom Haus Ruinart bekam er für die Realisierung des Projekts «carte blanche».

Liu Bolin kam als jüngstes von mehreren Geschwistern in der südöstlich von Peking gelegenen Provinz Binzhou zur Welt. Nach einem Kunststudium an der Shandong Academy of Fine Arts schloss er in Bildhauerei an der China Central Academy of Fine Arts in Peking ab. Seine Kontakte zur «Peking East Village»-Kunstszene waren Auslöser für seine ersten Arbeiten, die Fotoserie «Hiding in the City» (Verstecke in der Stadt). Bolin inszenierte mit diesem Werk seinen stillen Protest gegen den Abriss traditioneller Häuser in den Vorstädten Pekings anlässlich der Vorbereitungen zu Olympia 2008. Vor der Fassade eines zum Abriss freigegebenen Hauses verschmilzt Liu Bolin regelrecht mit dem Bild, wobei der Umriss seiner Person bei genauerem Hinschauen zu sehen ist, aber irgendwie beunruhigend wirkt. In seinen inszenierten Fotografien «verschwindet» Bolin immer dort, wo er auf soziale und gesellschaftliche Widersprüche hinweisen will.

Mal vor Wänden mit Propagandasprüchen der kommunistischen Partei in China. Mal vor der Rialtobrücke, um auf den drohenden Niedergang der Lagunenstadt Venedig aufmerksam zu machen. Mal im Supermarkt vor einem Gestell mit Nudeln, um auf gefährliche Lebensmittel zu verweisen. Indem er sich selber unsichtbar macht, eins wird mit den Dingen, um die es ihm geht, werden diese gleichzeitig sichtbarer.

«Die Leute sagen, ich verschwinde in der Umgebung.
Ich empfinde anders. Die Umgebung nimmt Besitz von mir»
Liu Bolin, Künstler

Seine Werke, eine Kombination von Skulptur, Gemälde, Foto und Performance, haben Liu Bolin in der Welt berühmt gemacht. Seine originellen, überraschenden und witzigen Methoden fanden auch in der Luxusindustrie grossen Anklang. Vom Daunenjackenhersteller Monclerc bis zur Uhrenmarke Oris. Liu Bolin stört das nicht weiter. Wichtiger ist ihm, dass er seine künstlerische Autonomie behalten kann, egal, ob er für sich, eine Galerie oder eine Firma arbeitet.

«2018 durfte sich der chinesische Künstler Liu Bolin in der Maison Ruinart austoben», heisst es auf der Webseite von Ruinart. Bolin setzte in etwas mehr als zehn Tagen die Arbeit der Menschen im Champagnerhaus Ruinart in Szene. Er wollte sie mit in den Bildern haben, um sie mit ihrer Kleidung und ihrem Körper mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Acht Performance-Bilder sind so entstanden, im Rebberg, in den Kellergewölben. Bis ein Bild so weit war, bis es den klaren Vorstellungen Liu Bolins ent- sprach und der Assistent schliesslich auf den Auslöser der Kamera drücken durfte, vergingen jeweils mindestens acht Stunden.

SHORT FACTS LIU BOLIN
ALTER Jahrgang 1973
PRIVAT verheiratet, eine Tochter
LEBENSMITTELPUNKT Peking
SPITZNAME der unsichtbare Mann
GALERIEN Galerie Paris- Beijing in Paris (www.galerie parisbeijing.com), Galerie Springmann in Freiburg und Berlin (www.galerie springmann.de), Galleria d’Arte in Verona (www.boxartgallery.com)
LIEBLINGSKÜNSTLER Modigliani (in meiner Zeit im College), Pablo Picasso, Andy Warhol, Francis Bacon
AUSSTELLUNG Musée de l’Elysée in Lausanne, mit über 50 grossformatigen Bildern. 17. Oktober bis 1. Januar 2019

www.liubolinstudio.com

VERBORGEN IN DEN BLANC-DE-BLANCS- KREIDEKELLERN «Die Schönheit und Majestät dieses Ortes faszinierte mich sofort. Da sind fast 30 Meter leerer Raum über deinem Kopf, wenn du in diesen Kreidekeller gehst. Du bekommst ein eindrückliches Gefühl für Zeit und Geschichte hier. Ich liebe die Zartheit, mit der die menschliche Hand ihre Magie der manuellen Rütteltechnik ausübt (überliefertes Wissen, das Jahre des Trainings braucht, um es zu lernen). Die Komplexität und das Licht in den Kellern haben eine verwirrende Auswirkung auf die Farben, darum war dieses Foto eine grosse Herausforderung. Aber ich liebe das Ergebnis besonders, es hat zwei lange Tage Malen gebraucht.»
VERSTECKT IN MUCHA-POSTERN «Die Beziehung, die ich zur Kunst habe, ist ganz wichtig für meine Arbeit. In der Vergangenheit habe ich an Leinwänden gearbeitet von Van Gogh oder Picasso. In jüngerer Zeit habe ich mit JR in New York und vor seiner Collage in der Pyramide des Louvre gearbeitet. Alphonse Mucha (der erste Künstler, mit dem Ruinart 1896 eine Zusammenarbeit begann) ist eine Schlüsselfigur des Jugendstils, und ich hatte sehr starke Emotionen, als ich an diesem Bild gearbeitet habe.»

SHORT FACTS MAISON RUINART
ADRESSE
Rue des Crayères 4, F-51100 Reims
FON +33326775151
INTERNET www.ruinart.com
GRÜNDUNG 1. September 1729
GRÜNDER Nicolas Ruinart
BESITZER Luxus-Konzern LVMH (Louis-Vuitton- Moët-Hennessy)
PRÄSIDENT UND CEO Frédéric Dufour
KELLERMEISTER Frédéric Panaïotis
KELLER Über acht Kilometer lange Kreidestollen, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählen
WEINE Ruinart Blanc de Blancs, Ruinart Rosé,
R de Ruinart, Dom Ruinart, Dom Ruinart Rosé

RUINART-CHAMPAGNER