In den beiden Dörfern Barolo und Barbaresco ist das Weingut von Luca Roagna zu Hause. 42 Jahre jung ist er, und über seine Weine – sie kommen erst nach ein paar Jahren der Reife auf den Markt – wird gesagt, sie seien schon in ihrer Jugend lebende Legenden, deshalb müsse man jede Chance nutzen, einiger Flaschen habhaft zu werden, da die Nachfrage das Angebot bei weitem übersteige.

Herkunft, Terroir, Authentizität. Das sind Stichworte, die perfekt zu Luca Roagnas Ideen des Weinmachens passen. Mit grösster Sorgfalt bewirtschaftet er zusammen mit seinem Vater Alfredo Roagna 12 Hektaren, darunter allerbeste Lagen wie Pajé, Montefico, Asili und Faset in Barbareso oder Pira in Barolo. Zu seinen Top-Lagen zählen seit 2014 zudem Albesani und Gallina in Neive. «Wir sind der Meinung, dass die Arbeit mit alten Rebstöcken unerlässlich ist, um ein Terroir optimal zum Ausdruck zu bringen», sagt Luca Roagna, der 2001 seinen ersten Jahrgang vinifiziert hat. «Die Einzigartigkeit und Schönheit eines Weinbergs zeigt sich am deutlichsten bei Rebstöcken, die ein sehr tiefes Wurzelwerk haben.» Ihre Reben würden weder gedüngt noch bewässert. Der Boden sei vollständig begrünt und rege so das Wurzelwerk an, in die Tiefe zu gehen.

Zuerst geerntet wird Anfang bis Mitte September der Dolcetto. Am längsten dauert die Lese beim Nebbiolo, manchmal bis zu 3 oder 4 Wochen, weil jede Parzelle eine andere physiologische Reifezeit hat. Sie hängt vom Alter der Rebstöcke, von der Lage und der Höhe ab.

Weil Barolo im Barolo-Gebiet ausgebaut werden muss und für den Barbaresco das Gleiche gilt, wechselt Luca Roagna bei der Kellerarbeit laufend vom einen zum anderen Cave, vom Keller im alten Familiensitz in Barbaresco nach Barolo zum dortigen in den Felsen geschlagenen Keller. «Unsere Weine reifen über eine lange Zeit im Holz», erklärt Luca Roagna. «Dolcetto etwa ein Jahr, Weisswein zwei Jahre, der Barbaresco und der Barolo mindestens 5 Jahre.» Aus diesem Grund sei dank des langen Zeitraums keine Filtration oder Klärung mehr erforderlich, da die Weine bereits vollkommen klar seien. Die verwendeten Hölzer stammen von ausgesuchten Lieferanten. Die Dauben jedes von Hand gefertigten Fasses werden mit Dampf gebogen, vor allem: nicht getoastet. Danach lagern die Dauben an die 10 Jahre, damit später der Wein sehr langsam reifen kann. «Terroir, Lage und Klima bestimmen den Charakter unserer Weine», sagt Luca Roagna, der sich als Handwerker versteht. Auf seinem Weingut werden keine externen Önologen beschäftigt, auch keine Agronomen.

«Ragazze di città»: Lara Rocchetti und Luisa Sala aus Turin gründeten 2019 das Weingut Lalù. (Foto: Anna Brignolo & Matteo Bgnasacco)

Begann die Weingeschichte der Roagnas im Jahr 1880, ist die von Lalù noch ganz frisch und jung. Erst 2015 erwarben die hochtalentierten Winzerinnen Lara Rocchetti und Luisa Sala aus Turin ihren ersten kleinen Weinberg in Roncaglie in La Morra, und erst 2019 gründeten sie das gemeinsame Weingut Lalù. Die beiden lernten sich als Studentinnen im Jahr 2010 kennen, an der internationalen University of Gastronomic Sciences in Pollenzo, nahe der Stadt Bra in Piemonts Nordwesten. Nach der gemeinsamen Abschlussarbeit folgten Abstecher in die Weinregionen von Argentinien und von Südafrika. Langsam begann bei den zwei Freundinnen der Gedanke zu reifen, sich ins Abenteuer Wein zu stürzen, «unseren Traum zu leben, in den Hügeln der Langhe». Von den Schwierigkeiten liessen sie sich nicht einschüchtern, vielmehr wollten sie beweisen, dass es zwei Frauen schaffen können, «die ihre Sensibilität, ihr Engagement und ihre Entschlossenheit in diese Aufgabe einbringen». Das Handwerk lernten die «ragazze di città», wie sie sich selber gerne nennen, bei bekannten Winzern im Piemont und im Burgund. Erwarben sich Vertrauen und Respekt beim Praktikum in La Morra bei Nicola Oberto von Trediberri. Bildeten sich weiter bei Conterno-Fantino in Monforte d’Alba, sodann auf der Domaine Lafon in Meursault und bei Cécile Tremblay in Morey-Saint-Denis. Ihre 3,5 Hektaren in Montforte d’Alba und La Morra sind mit Nebbiolo und Barbera bestockt, die in einer umgebauten Werkstatt in Serralunga d’Alba vinifiziert werden. Die Lalù-Weine sind zugänglich und elegant.

England, Kanada, Australien: Renato Vezza ist als Sommelier weit herumgekommen. Heute keltert er auf dem Weingut der Familie (Bricco Ernesto) herausragenden Arneis und Nebbiolo.

Zu den interessantesten jungen Winzern des Piemonts zählt Renato Vezza. Er macht als Chef des Weinbaubetriebs seiner Familie – Bricco Ernesto in der Gemeinde Priocca, wo schon in vierter Generation Trauben kultiviert werden – gerade mal einen Weissen und einen Roten, einen Arneis und einen Nebbiolo, in mikroskopischen Mengen. Zusammen mit seiner Partnerin Samantha Giacosa. Als gelernter Sommelier ist Renato Vezza weit herumgekommen. Er arbeitete in London (bei Marco Pierre White), dann in Kanada und in Australien, um nach seinen Lehr- und Wanderjahren nach Hause zurückzukehren, ins Piemont. Sein seit 1990 biodynamisch zertifiziertes Weingut liegt auf einem der höchsten Hügel von Priocca und ist von Haselnussfeldern umgeben.

Tom Myers: In Neuseeland geboren, weit in der Weinwelt gereist, Jungwinzer im Piemont. (Foto: Letizia Cigliutti)

Ein Newcomer im Piemont ist der gebürtige Neuseeländer Tom Myers mit seiner im Jahr 2020 per Crowdfunding gegründeten Cantina D’Arcy. Er bewirtschaftet zwischen Cannubi und Monrobiolo di Bussia eine 8500 m2 grosse Parzelle mit alten Nebbiolo- und Dolcetto-Rebstöcken. 2024 will er einen noch im Fass ruhenden Barolo lancieren. Myers hat verschiedenenorts bei bekannten Winzern gearbeitet, in Frankreich beispielsweise bei Marquis d’Angerville und Alain Graillot. Inspiration sind ihm seine Lieblingsweine grosser Namen aus der Weinwelt, von Winzern wie Lalou Bize-Leroy oder Gianfranco Soldera. D’Arcy, der Name der Cantina, ist auf den Mädchennamen seiner Grossmutter zurückzuführen.

Philine Isabelle Dienger arbeitet im Herzen der Langhe, zwischen Monforte (Keller) und Barolo (Weinberge). Grossartig gelungen sind Dolcetto, Barbera und Nebbiolo. (Foto: Clay McLachlan)

Bei Marta und Carlotta Rinaldi in Barolo, den Töchtern von Giuseppe Rinaldi, lernte Tom Myers die weinbegeisterte Philine Isabelle Dienger kennen, die ihren Nachnamen für ihr eigenes kleines Weingut Philine Isabelle abgelegt hat. Dienger, in Deutschland geboren, hat fast ein Jahrzehnt lang auf verschiedenen europäischen biodynamischen Weingütern gearbeitet, in der Pfalz bei Odinstal, im Südtirol auf dem Weingut Pranzegg von Martin Gojer, dann bei Alois Lageder, im Jura bei Julien Labet und auf der Insel La Palma bei Victoria Torres Pecis. Zudem bei den Weinbaufachleuten Marco Simonit und Pierpaolo Sirch aus dem Friaul, nach denen eine schonende Form des Rebschnitts benannt ist, die Simonit-&-Sirch-Methode. In Preda, zwischen La Morra und Barolo, pflegt Philine Isabelle Dienger einen Weinberg von 1,1 Hektaren (0,8 ha Nebbiolo, 0,3 ha Chardonnay), zudem bezieht sie Trauben von den befreundeten Winzern Massimo und Luigi Veglio – Dolcetto, Barbera und Nebbiolo. Auf Diengers ersten Barolo darf man gespannt sein.

Alice (vorne sitzend) und Cristina Pressenda: Die Schwestern führen das Weingut Ca’dï Press ihrer Eltern Paola und Bruno Pressenda.

Mit Jahrgang 2018 haben die Pressendas, eine Familie, die sich um 1900 in
der Gemeinde Monforte d’Alba niedergelassen hat, ihren ersten Barolo unter eigenem Namen abgefüllt, etwas mehr als 4300 Flaschen. Zuvor verkauften sie über all die Jahre die Trauben und die kleinen Mengen vinifizierten Weins weiter. Daraus ist Ca’ dï Press entstanden, was so viel wie das «Haus der Pressendas» bedeutet und heute von den Schwestern Alice und Cristina Pressenda geleitet wird. Die jährliche Barolo-Produktion soll beim 2019er bei etwa 8000 Flaschen liegen, die Trauben kommen aus der Fraktion Perno in der Gemeinde Monforte d’Alba.

Mariacristina Oddero und Nichte Isabella Boffa Oddero sind die Macherinnen und Besitzerinnen des Weinguts Oddero. Sohn Pietro Oddero ist Teil des Teams, Vater Giacomo Oddero, der Trüffelspezialist der Familie, gründete das nationale Zentrum für Alba-Trüffel-Studien (Centro Nazionale Studi sul Tartufo d’Alba). (Foto: Clay McLachlan)

Eine Winzerfamilie mit viel Frauenpower ist Oddero in La Morra. Seit den 1990er Jahren befinden sich die Arbeiten in den Weinbergen und in der Kellerei fest in Frauenhand. Mariacristina Oddero kümmert sich um die 35 Hektaren Rebberge – 18 davon liegen in Barolo mit 6 Einzellagen – und um alle önologischen Belange. Tatkräftig unterstützt wird sie dabei von der Familie, Pietro, ihrem Sohn, und Isabella, ihrer Nichte. Die Nachfolge der Weinynastie, deren Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, ist also gesichert.

Der Name Piero Busso steht für herausragende Barbaresco-Crus, ausnahmslos separat vinifizierte Weine aus Einzellagen. Das Weingut liegt etwas ausserhalb von Neive im Albesani-Gebiet und umfasst heute 10 Hektaren. Zum Besitz der Familie gehören Parzellen in den besten Barbaresco-Lagen. Seit 2010 werden bei Busso keine Barriques mehr verwendet (früher wurde der Gallin zu 100 % in kleinen Eichenfässern ausgebaut). Heute reifen die Barbaresco-Crus wieder klassisch, das in slawonischen 20-Hektoliter-Fässern. Dass Busso ein echter Familienbetrieb ist, zeigt sich bei der täglichen Arbeit. Piero Busso, seine Frau Lucia und ihre Nachkommen, Pierguido und Emanuela. kümmern sich um alles. Im Weinberg bis zur Ernte, im Keller bis zum Verkauf. «Jeder Aspekt des täglichen Lebens in unserem Weingut geht durch die Hände und Augen eines von uns.»

PIEMONT – WEINE

WEITERE PIEMONT-WEINE, TEIL 1

WEITERE PIEMONT-WEINE, TEIL 2