Die 2015er wirken anders als alle anderen Weine Tom Litwans. Ein markantes Rot zeigt bereits der Oberflachs Auf der Mauer, auch der Thalheim Chalofe changiert in kraftvollen Farben. Und dann erst der Wein von den allerältesten Reben, der höchstwahrscheinlich genau so heissen soll und von dem erstmals ein Barrique voll erzeugt wurde. Tom Litwan zuckt die Schultern. Ein so tiefer Farbton sei eigentlich nicht das, was er anstrebe. «Ich bin ja sonst eher der Produzent von dunklen Roséweinen», scherzt der Aargauer. Aber was soll man machen, wenn der Jahrgang genau so ausfalle? Ausnahmsweise!

Ob die 2015er nach der Füllung je so fein, so alterungsfähig sein werden wie die 2013er, muss einstweilen offenbleiben; es wäre jedenfalls nicht unwahrscheinlich, wenn die gerade recht präsente Frucht bald einer Verschlussphase Platz macht. Tom Litwans Weine galten ja von Anfang an, seit dem Beginn des Aargauer Weinabenteuers 2006, nie als früh zugänglich. Ja, man müsse ihnen Zeit geben, bestätigt der Winzer, der ausdrücklich zum Karaffieren rät. Ob da alle Sommeliers, sämtliche Käufer mitspielen? Warten will ja heute keiner mehr! Die 2014er Pinots noirs sind jedenfalls derzeit nur schwer einzuschätzen, zeigen sich sehr verschlossen, die 2013er öffnen sich erst nach einer Weile. Am zugänglichsten sind der Chraibel aus Herznach und der Rüeget aus Elfingen, während der 2013er Chalofe aus Thalheim, aus der ältesten, wohl besten Anlage des Weinguts, am Anfang zwar zarte Johannisbeerfrucht spüren lässt, aber von Minute zu Minute, von Stunde zu Stunde zulegt. Eine unerwartete Säure, dazu Würze, Tiefe und Struktur, die erst nach ein paar Stunden zusammenfinden. Die Wertung der SCHWEIZERISCHEN WEINZEITUNG steigt und steigt, und irgendwann sind die 18 deutlich überschritten. Zumal da nichts von Kopie zu erkennen ist, zumal der Wein präzise, trocken und authentisch wirkt. «Ich liebe Finesse und Eleganz», sagt Litwan. Die 19 Punkte beinhalten auch die Vermutung, dass der Wein in zwei, drei Jahren nochmals ein bisschen spannender schmecken wird als heute.

Finesse und Eleganz sind dem biodynamisch arbeitenden Winzer Tom Litwan beim Pinot noir wichtiger als Kraft und Fülle.
(beide Fotos: Hans-Peter Siffert weinweltfoto.ch)

Der gelernte Maurer Tom Litwan ging 
als junger Mann ins Burgund, lernte
 dort Weine kennen, durfte in der Freizeit mit zu Verkostungen. Dass er Winzer werden wollte, deutete sich dort erstmals an.

Was weder bei dem einen noch bei dem anderen Wein zu merken ist, sind übrigens vordergründige Holznoten. Gebrauchte Barriques verwendet Litwan, nur in der Spitze ist ein kleiner Anteil an neuem Holz dabei. Gerade so viel, um einen Hauch von Würze spüren zu lassen. Dass Litwans Weine anders sind als viele Schweizer Pinots noirs, ist sofort zu merken, und erklärbar ist es mit der französischen Prägung. Der gelernte Maurer, der immer schon handwerklich arbeiten wollte, ging als junger Mann in die Bourgogne, lernte dort Weine kennen, durfte in der Freizeit mit zu Verkostungen. Dass er Winzer werden wollte, deutete sich hier erstmals an, wurde später Realität. Allzu gern, allzu ausführlich freilich scheint Tom Litwan nicht über seine Karriere zu reden, die ihn zum Bielersee und weiter nach Süden, zur Domaine des Balisiers, führte, die ihn auch wieder ins Burgund brachte. Litwan ist keiner, der sich in den Vordergrund stellt, der sich am liebsten um die Reben und die Fässer kümmert, der, was den Verkauf angeht, gern mit den Händlern zusammenarbeitet. Dass es überhaupt Schinznach Dorf wurde, wo er bei Familie Hartmann Unterschlupf fand, war nicht von langer Hand geplant. Ergab sich so, auch weil an eine Weingutsgründung in der Bourgogne allenfalls im Traum zu denken war. Doch im Aargau waren Lagen zu pachten, erst wenige, dann mehr. «Ich wusste ja damals nicht, wie weit ich es treiben kann», lacht Litwan. Die Qualität der Rebberge sei jedenfalls gut gewesen. Hauptsächlich Pinot noir, dazu etwas Chardonnay und Riesling-Silvaner sind heute im Anbau – und auch für die weissen Sorten gilt das Prinzip von Frische, Filigranität und Säure, wie es bei den Rotweinen zum Tragen kommt. Extrem niedrige Erträge lassen staunen. «Ich bin eher bei 20 bis 30 Hektolitern pro Hektare.» Drei Hektaren bewirtschaftet Litwan nun, seine Reben verteilen sich auf mehrere Gemeinden, und das dürfte so ziemlich das sein, was zu machen ist mit den vorhandenen Ressourcen. «Ich bin hier ja nur eine One-Man- Show», sagt Tom Litwan. 8000 Flaschen werden pro Jahr gefüllt, vielleicht 9000. Wenn man es ernst meint mit der biodynamischen Bewirtschaftung, muss man sich halt beschränken. Und ernst ist es Litwan, der die Kuhhörner vergräbt und die Präparate mischt, der aber nicht mehr über Steiners Vorstellungen redet als nötig, seine Kellerphilosophie rasch beschreibt. Die Trauben werden nie zu spät gelesen, denn was auf die Farbstoffe zutrifft – bloss nicht zu viele! –, gilt ja auch für den Alkohol. Wenn andere Winzer am liebsten 13,5 oder 14 aufs Etikett schrieben, ist Litwan froh, wenn es bei 12,5 Vol.-% bleibt. Die Folgen sind klar, denn in Vergleichsverkostungen tun sich die stets spontan vergorenen Aargauer aus Schinznach manchmal schwer, bleiben bisweilen zurück hinter dichter wirkenden, mächtigeren Konkurrenten. Weine, die allen gefallen, sagt Litwan, wolle er gar nicht machen, aber solche, die möglichst klare Frucht zeigen, weshalb nun als Verschluss der Diam zum Einsatz kommt. Rotweine, wie er sie keltere, seien wohl empfindlicher auf Korkeinflüsse als andere.

Ob der vergleichsweise dunkle 2015er ein Fingerzeig ist, ein Bote des Klimawandels, der leichte, finessenreiche, transparente Rote schon bald unmöglich machen könnte im Aargau? Litwan sieht die Entwicklung gelassen, er versteht die Natur. «Es ist alles eine Rhythmusfrage», sagt der Aargauer, der diesmal den schönsten Wein des Jahres hervorgebracht hat.

WEINE TOM LITWAN