Weinabenteuer im Land der Trulli: Die Cantina Bianca liegt im Hinterland zwischen Bari und Brindisi. Die teils abgelegenen Rebparzellen können oft nur mit Kleinlastern erreicht werden. Darauf werden die geernteten Trauben in Kistchen gestapelt, damit sie auf dem Transport in den Keller unverletzt bleiben.
(Foto: Jörg Wilczek)

Die ersten Flaschen über die Grenze zu bringen, muss für Stephan Winkler und Andrea Lasagni ein Abenteuer gewesen sein. Unbarmherzig waren die Einfuhrbestimmungen damals, Ende der Achtziger, als sich das apulische Weinprojekt noch in der Testphase befand. Stephan Winkler erinnert sich gut daran, dass die Premierenflaschen noch in Italien an allerlei freundliche Verwandte verteilt wurden, auf dass jeder mit der ihm zustehenden Menge die Grenze überqueren und bald darauf wieder zurückkommen und erneut einladen konnte. Funktionierte natürlich nur, weil anschliessend mit selbstgekelterten Weinen angestossen wurde und weil die Mengen noch überschaubar waren. Dass sich seitdem alles professionalisiert hat, der Zoll die ihm zustehenden Gebühren bekommt und Freunde nicht mehr beim Transport helfen müssen, versteht sich von selbst. Abgefüllt wird heute in der Schweiz, unter persönlicher Kontrolle des Winzers und seines Verkaufsbeauftragten.

Anders als 1988, als viel improvisiert wurde, als man exklusiv weisse Trauben zukaufte und ohne Strom und fliessendes Wasser arbeitete, sind die Arbeiten heute klar verteilt. Andrea Lasagni, Italo-Schweizer in vierter Generation, wohnt in Apulien, kümmert sich um den Ausbau der Weine und pflegt die Zusammenarbeit mit den
Traubenlieferanten, während Stephan Winkler in Meilen am Zürichsee den Vertrieb steuert. Leidenschaft für den Süden haben sie beide, weit über den Wein hinaus. Der auf Apulien spezialisierte Historiker Stephan Winkler, der die Region schon Ende der Siebziger studierte, begleitet immer mal wieder Reisen in die Heimat der Trulli, jener merkwürdigen runden Gebäude, hat ein Buch geschrieben über die Region, wird nie müde, Land, Leute und Kultur zu loben. Andrea Lasagni wiederum hat sich in der Schweiz und in Deutschland ausführlich vorbereitet auf die Arbeit als Winzer, erlernte in Wädenswil die Grundlagen der Weinbereitung. Immer im Bewusstsein, dass Primitivo, Aglianico und Negroamaro ganz anders zu behandeln sind als Chasselas und Riesling, dass die klimatischen Bedingungen in Apulien eine Herausforderung darstellen. Was vor allem auf den Primitivo zutrifft, den Ende der Achtziger kaum jemand kannte, der aber inzwischen für viele zum Inbegriff süditalienischer Rotweinkultur mutiert ist. Als Problemkind bezeichnen ihn freilich alle, die ihn näher kennen, sehen den Boom mit gemischten Gefühlen. Wenn man nicht aufpasst, wird aus ihm nämlich schnell ein höchst langweiliger, breiter, alkoholstarker Wein. Die vielen Primitivos in den Regalen der Supermärkte sprechen eine klare Sprache, aber eine, die Lasagni und Winkler nicht nachplappern wollen. Höchste Alkoholgrade – Primitivo erreicht, wenn man die richtigen Hefen wählt und den Trauben im Weinberg freie Hand lässt, locker 17 Alkoholprozente – und überreife Aromatik sind nicht ihr Ziel. Überlassen sie anderen und schauen allenfalls irritiert zu, wenn abgefüllte Belanglosigkeit bei dem einen oder anderen italienischen Weinführer rekordverdächtige Punktzahlen bekommt – marmeladiger Schwere zum Trotz.

 

Der Eingang zur Cantina Bianca mit Kellerei, Lager, Büro und der Wohnung im Obergeschoss.
(Fotos: Yolanda Senn Ammann)

Andrea Lasagni leert Kisten der geernteten Trauben, lässt sie in die Abbeermaschine fallen, in der die Stiele entfernt und die Beeren gequetscht werden.

Vollreife Primitivo-Trauben in einem Weinberg bei Manduria-Sava. Der Ertrag liegt bei 800 Gramm pro Quadratmeter.
(Foto: Jörg Wilczek)

Die durchgegorene Maische kommt auf die Presse, der Jungwein wird in einer Wanne aufgefangen und abgepumpt. Das Trennen der Maische in Jungwein und Trester wird abwirzen genannt.
(Foto: Yolanda Senn Ammann)

Hohe Noten waren nie das Ziel von Lasagni und Winkler, schnelles Inverkehrbringen der Ware ist ebenfalls unerwünscht. Wenn der Wein parat sei, komme er in die Flasche, heisst es auf dem Weingut. Und wenn das ein paar Jahre dauere, dann sei das eben so. Wissen die Kunden schon lange, akzeptieren klaglos, dass nicht immer alles verfügbar sein kann. So wie beim Negroamaro, der anderen wichtigen Rotweinsorte neben dem Primitivo. Der 2011er in der Barrique-Version wurde nicht weniger als sechs Jahre ausgebaut, davon 14 Monate im kleinen Fass, bevor Winzer Lasagni sein Okay gab. Jetzt sei der Wein reif und richtig, um an die Schweizer Kunden ausgeliefert zu werden, heisst es. Stimmt aufs Wort. Die Tannine sind inzwischen perfekt integriert, Würze und Frucht marschieren im Einklang. War ja eh keine Selbstverständlichkeit, dass man in der Cantina begonnen hat, mit kleinen Fässern zu arbeiten. «Lange haben wir uns geweigert, Barriques zu verwenden», erzählt Stephan Winkler. Nur ja keinen Mainstream produzieren! Klar also, auch heute noch, dass die Holzwürze nie den Charakter von Traube und Boden überdecken darf, dass auch beim Fortunato-Primitivo in der Barriqueversion Frucht und Struktur im Vordergrund stehen. Die Sorte kann ja schon was, wenn man sie lässt und richtig vinifiziert, obwohl man die wirklich exzellenten Primitivos an zwei Händen abzählen kann, vielleicht auch nur an einer. In der Cantina Bianca arbeitet man mit zwei unterschiedlichen Klonen, versucht die verwendete Hefe auf die Gegebenheiten des Jahrgangs abzustimmen und setzt alles daran, die Frische im Wein zu erhalten. Nicht mit Zugabe einer kleinen Menge Weisswein, wie es anderswo gemacht wird, sondern mit Hilfe der Wintertrolle. Jene kleinen, säuerlichen Beeren, die von spät ausgetriebenen Zweigen stammen, sind sehr gefragt in Apulien, tragen sie doch auf natürliche Weise dazu bei, auch einen Primitivo mit 15 oder 16 Alkoholprozenten ins Gleichgewicht zu bringen. Wenn man es beherrscht!

Und wenn es nicht um die hinzugefügte Säure geht, dann um die sorgfältige Assemblage. Oder die Suche nach den besten Reben. Eigene Weinberge besitzt die Cantina nicht, ist auf die Zusammenarbeit mit den Lieferanten angewiesen, welche freilich kaum je alles in der gewünschten Menge und Qualität anbieten. Da wäre zum Beispiel der San Donato genannte Aglianico. Stephan Winkler schenkt einen 1997er aus, erst 2006 (!) abgefüllt, aus einem alten Weinberg in der Basilicata. «Den gibt es leider nicht mehr», seufzt der Meilener. Was es dagegen noch hat, ist Weisswein. Nicht so berühmt wie der Primitivo, aber nie zu unterschätzen. Minutolo zum Beispiel, eine Rebsorte, die früher als Variante des Fiano angesehen wurde, die aber inzwischen als eigenständige Sorte gilt und neben Aromen von Kräutern und Zitrusfrüchten auch eine an Holunderblüte erinnernde Nuance mitbringt. Oder die beiden weissen Sorten Verdeca und Bianco d’Alessano.

Primitivo-Verkostung im Frühstadium: Winzer Andrea Lasagni mit dem noch hefetrüben Jungwein aus dem Fass.
(Foto: Yolanda Senn Ammann)

 

Kaum zu glauben, wie unterschiedlich die Assemblage aus beiden ausfallen kann, je nach Jahrgang. Der 2014er frisch, schlank und beinah säuerlich, der 2015er kraftvoll und voller Würze. Was die roten Sorten angeht, ist dagegen erst mal Musse angesagt. 2011 war ein Traumjahr, mit grossen Mengen bester Qualitäten, doch in der Folgezeit hatte man in Apulien im Allgemeinen kein Glück, musste auch in der Cantina Bianca Einbussen hinnehmen. Regen sorgte beispielsweise 2014 für aufplatzende Primitivo-Trauben. Und dann kam irgendwann noch das Unglück mit einer grösseren im Keller lagernden Partie hinzu, bei der eine erhöhte flüchtige Säure festgestellt wurde. Andrea Lasagni mag zwar für eigenwillige Weine stehen, doch seine Önologen-Ehre verbietet es ihm, Derartiges abzufüllen.

Zum Glück könnte 2017 interessant werden, und dass 2018 gut und reichhaltig ausfallen möge, hoffen alle. Die Wartezeit auf die kommenden trockenen Spitzen-Roten liesse sich zumindest mit den noch vorhandenen Süssweinen des Hauses überbrücken. Spätestens bei der Verkostung des 2011er Dolce wird nämlich klar, wie gut sich Primitivo als Material für Dessertweine eignet. Reife Frucht, leichte Süsse, dazu eine Portion Gerbstoffe: ein höchst eigenständiger Stil. Und erst der 1997er mit gerade mal 80 Gramm Restzucker, feinster Reife und immer noch animierender Frische! Stephan Winkler, der Apulien-Experte, empfiehlt dazu gern die passenden original süditalienischen Gebäcke. Wenn man ihn nett bittet, bringt er vom nächsten Trip bestimmt die eine oder andere Packung aus der besten Pasticceria Apuliens mit über die Grenze. Ganz legal!

SHORT FACTS
CANTINA BIANCA DI ANDREA LASAGNI

ADRESSE Contrada Cervillo 42, I-­72017 Ostuni
FON +41627515910
INTERNET www.lasagni­-weine.ch
INHABER Andrea Lasagni
KELLERMEISTER Andrea Lasagni
VERKAUF, PR, MARKETING Stephan Winkler
GRÜNDUNGSJAHR 1992
REBFLÄCHE keine eigenen Weinberge
REBSORTE Minutolo (Fiano), Verdeca, Bianco d’Alessano (weiss), Primitivo, Negro­ amaro, Aglianico, Syrah (rot) PRODUKTION ca. 15 000 Flaschen

WEINE CANTINA BIANCA