Einfach reingehen kann man nicht. Bevor jemand auf die Idee kommt, eine Flasche Wein in den Südtiroler Bergstollen einzulagern, etwas herauszunehmen oder einfach nur nach dem Zustand der Flaschen zu schauen, muss er umfangreiche Planungen treffen. Schutzkleidung ist Pflicht, der Helm samt Stirnlampe muss straff befestigt sein, auch für passendes Schuhwerk ist zu sorgen, bevor es drei Kilometer mit der Bahn hineingeht ins stillgelegte Bergwerk. Es rumpelt und rattert, von der Decke tropft es, und nach der Endstation ist noch lange nicht Schluss. Immer tiefer geht es hinein in den Berg, der wie ein Emmentaler durchlöchert wurde, Quer- und Hauptstollen, Verbindungsgänge und Sackgassen. Man muss sich auskennen, um nicht die Orientierung zu verlieren. Willi Stürz, Kellermeister der Cantina Tramin, findet sich inzwischen zurecht, leuchtet den Weg aus und erzählt von seiner skurrilen Idee. Gewürztraminer jahrelang ins Dunkel zu legen, ist ja nun wirklich keine Selbstverständlichkeit. Schon gar nicht in ein Bergwerk im Ridnauntal, in den Poschhausstollen am Schneeberg. Vor allem Zinkblende wurde hier abgebaut, über Jahrhunderte, noch bis 1985 nutzte man die Anlagen, doch dann wurde die Arbeit unwirtschaftlich. Die Kosten waren zu hoch, der Weltmarktpreis hielt mit dem Aufwand nicht mit. Statt der Knappen fahren nun lediglich Touristen ein.

Zum «Keller» im Berg führt in einer ersten Etappe ein rotes Bähnchen. Nach drei Kilometern geht es im durchlöcherten Berg mit Quer- und Hauptstollen, Verbindungsgängen und Sackgassen zu Fuss weiter.
(Foto: Antie Braito)

Schutzkleidung, Helm und Stirnlampe: Willi Stürz, Kellermeister, und Wolfgang Klotz, Vertriebschef der Cantina Tramin, verlassen mit einem ersten Korb voller Flaschen des Gewürztraminers Epokale 2009 das Bergwerk Poschhausstollen (Foto: Antie Braito)

Und Winzer. Willi Stürz zum Beispiel, oft einfach nur als Mister Tramin bezeichnet. In dem Südtiroler Ort, zumindest der Legende nach Urheimat des Gewürztraminers, wuchs er auf, prägt die Qualitätspolitik der Kellerei Tramin seit vielen Jahren. Unter den ohnehin für ihre Klasse bekannten Genossenschaften des Alto Adige nimmt jene aus Tramin einen der vorderen Plätze ein. Stürz und sein Team wollten dem schon zuvor eindrucksvollen aromatischen Programm des Hauses etwas Neues hinzufügen. Keinen trockenen, finessenreichen Gewürztraminer wie den «Nussbaumer», einen der besten Vertreter dieser Sorte im Lande, keinen üppigen edelsüssen wie den «Terminum», sondern eine merklich, aber nicht übertrieben süsse Spätlese mit Präzision. Doch damit nicht genug, denn Stürz legt sich seit Jahren dafür ins Zeug, das Lagerungspotenzial des Gewürztraminers zu beweisen. Gute Vertreter präsentieren sich tatsächlich auch nach zehn und mehr Jahren in bestechender Form – und beileibe nicht nur jene mit Restsüsse. Die gleichbleibende Temperatur im Stollen sei der Grund für den ungewöhnlichen Lagerort gewesen, sagt Stürz. So was könne man unten im Tal nicht bieten. Ziemlich genau 11 Grad hat es im Berg, jahraus, jahrein, dazu völlige Dunkelheit und Ruhe. Was 2009 begann, wurde konsequent fortgeführt. Im Anschluss an den Premierenjahrgang wurden kistenweise Weine der Nachfolger eingelagert, doch mit der Vermarktung liess man sich Zeit. Erst vor wenigen Wochen fuhren die Helfer erstmals zum Abholen von Flaschen in den Stollen: Der 2009er «Epokale» kam im Sommer 2017 auf den Markt.

Experiment geglückt, was die erste Verkostung des Epokale 2009 zeigt. Nun führt Kellermeister Willi Stürz konsequent fort, was im August 2010 begann. Jeder Epokale-Jahrgang wird, sobald abgefüllt, in den Stollen gebracht und frühestens nach sieben Jahren wieder ans Licht geholt.
(Foto: Antie Braito)

Zurück aus dem Berg bereitet Willi Stürz eine seiner Vergleichsproben vor: 2009er «Epokale» im Reigen grosser Traminer aus aller Welt. Nicht um andere auszustechen, sondern um den Südtiroler Stil zu zeigen, wie ihn ja nicht nur die Kellerei Tramin befolgt, wie ihn auch die anderen Qualitätserzeuger anstreben. Von dem der Elsässer Kollegen unterscheidet sich der hiesige Gewürztraminer nämlich deutlich: Dominiert dort meist kraftvolle Würze, ist in Südtirol Finesse gefragt. Wie beim «Nussbaumer», wie beim «Kolbenhof»-Gewürztraminer von Hofstätter oder beim «Lunare» der Cantina Terlan. Kleine Erträge, oft niedriger als im Elsass üblich, die Verwendung möglichst gesunder Trauben, der Ausbau im Stahl (teilweise auch im grossen Holzfass) sind es, die zu kraftvollen, aber sehr präzise gearbeiteten Aromaweinen führen. Vor allem aber dürfte der Ausbau auf der Feinhefe seinen Teil zur Komplexität des Südtiroler Gewürztraminers beitragen. Und weil er ernst genommen wird als absolute Spitzensorte, anders als bei vielen Winzern in Deutschland, in Österreich oder der Schweiz, sind die Ergebnisse entsprechend.

Kein Wunder, dass die Nachfrage mit dem Angebot nicht nur mithält, sondern sie diesem meist sogar voraus ist. Mehr als 570 Hektaren sind in Südtirol inzwischen mit Gewürztraminer bepflanzt, was ihn nach dem Pinot grigio zur zweitwichtigsten Weissweinsorte der Region macht. Ungebrochen sei die Begeisterung der Italiener, betonen die Südtiroler, manchmal könne man gar nicht so viel liefern, wie bestellt würde aus Rom, aber auch von der Gastronomie im tiefen italienischen Süden. Vielleicht sollte man verzweifelte Kunden ja auf den ebenfalls verfügbaren Goldmuskateller hinweisen, der im Alto Adige würzige Klasse erreichen kann. Auf den Rosenmuskateller, der dunkle, üppige, aber kaum je langweilige Süssigkeiten ergibt. Auch die restlichen Südtiroler Weissweine zeigen die eingeübte Finesse. Sauvignon blanc zum Beispiel, der wie beim «Quartz» der Terlaner Genossenschaft dermassen geradlinig geraten kann, dass andere Weinbauregionen fragen, wie solche straffe mineralische Art zustande zu bringen ist. Sogar aus dem Müller-Thurgau zaubern die Winzer der Region Faszinierendes – ohne den in der Schweiz immer noch beliebten Säureabbau. Als berühmtestes Beispiel seiner Art gilt der «Feldmarschall von Fenner», eines der Musterbeispiele dieser Rebsorte. Unbedingter Wille zur Eleganz ist schliesslich auch den roten Südtirolern eigen. Lagrein, anderswo in Europa kaum zu finden, und der so herrlich frische, leichte und saftige Vernatsch besitzen häufig verblüffenden Charakter.

Angesichts der vielen Rebsortenweine, die längst zu Marken geworden sind, wissen die wenigsten Weintrinker, dass in Südtirol auch Cuvées Tradition besitzen. Der «Stoan» der Kellerei Tramin, eine weisse Mischung aus Sauvignon blanc, Chardonnay, Weissburgunder und ein paar Prozenten Gewürztraminer, besitzt genau die richtige Balance aus Frucht, Schmelz und Aromatik – auch wenn er nicht im Stollen reift. Dort übrigens weiss man neuerdings von erhöhter Nachfrage nach Lagerraum zu berichten. Bergwerkschef Andreas Rainer erzählt vom Interesse anderer Winzer, sogar ein Käseproduzent habe sich gemeldet, um seine Laibe reifen zu lassen. Vielleicht auch deshalb, weil allen Connaisseuren längst klar ist, wie gut Südtiroler Gewürztraminer und viele Käsesorten, aber auch andere Speisen zusammenpassen. Zur feierlichen «Epokale»-Präsentation zeigt Anna Matscher vom «Löwen» in Tisens, die vielleicht bodenständigste aller norditalienischen Spitzenköchinnen, was sie kann. Zu Matschers vermutlich feinstem Klassiker, den Calamaretti mit Erbsen und Zitronenzesten, könnte man ebenso Traminer in Erwägung ziehen wie zu Topfenknödeln mit Rhabarber. Öfter mal eine ganze Flasche dieser eigenwilligen Sorte zu bestellen, ist ein Vorsatz, der bei jedem aufgeschlossenen Weintrinker nach ein paar Tagen Südtirol haften bleibt.

Cantina Tramin

Die Gewürztraminer-Lage Söll: Hier wächst der Epokale. In Südtirol sind inzwischen mehr als 570 Hektaren mit Gewürztraminer bepflanzt, was ihn nach dem Pinot grigio zur zweitwichtigsten Weissweinsorte der Region macht.
(Foto: Florian Andergassen)

Kellermeister Willi Stürz, oft einfach nur als Mister Tramin bezeichnet, prägt die Qualitätpolitik der modernen Cantina Tramin.
(Foto: Florian Andergassen)

WEINE KELLEREI TRAMIN

WEINE CASTELFEDER

WEINE KELLEREI KURTATSCH