Arbeiten Seite an Seite: Rudi Bindella (rechts) hatte das viele Jahre mit seinem Vater gemacht und tut dies nun ebenso mit seinem ältesten Sohn, Rudi (links) – bis er 75 ist. (Foto:Alessandro Moggl)

– Sie sind etwas über 70 und können sich reichlich Zeit nehmen für die schönen Dinge des Lebens. Ihre Kunstsammlung, ihr paradiesisches Weingut Vallocaia in der Toskana.
RUDI BINDELLA: Schön wäre das schon. Tatsächlich versuche ich, ein- bis zweimal im Monat auf Vallocaia zu sein. Dort wohne ich in einem kleinen, einfachen Bauerhaus mit fünf Zimmern, da gibt es weder Glanz noch Gloria. Aber immer viel zu besprechen. Mit Giovanni Capuano, dem Gutsverwalter und Chefönologen, der Vallocaia seit über 20 Jahren führt. Nein, lebt. Er lebt Vallocaia. Selber fühle ich mich auf dem Gut ausgesprochen wohl, geniesse diese italienische Stimmung, den Kontakt mit den 20 Mitarbeitern. Bis es dann wieder zurück nach Zürich geht, das sind sieben Autostunden.
– Sie arbeiten noch immer viel. Zusammen mit ihrem Sohn, Rudi Bindella junior.
Ich selber habe sieben Jahre Seite an Seite mit meinem Vater gearbeitet. Als er 1982 starb, übernahm ich die alleinige Verantwortung für das Unternehmen. Seit 2010 arbeitet mein ältester Sohn in der Firma. Zusammen haben wir 2018 das Ristorante «Ornellaia» im ehemaligen Gebäude der Volksbank an der Bahnhofstrasse in Zürich eröffnet. Im gleichen Jahr, an meinem 70. Geburtstag, habe ich meinem Sohn die Verantwortung für die Gastronomie übertragen, das sind heute 44 Restaurants, sowie das Marketing und Human Resources. Das war ein erster wesentlicher Schritt, was meine Nachfolge betrifft. Mit 75 werde ich meinem Sohn auch noch den Rest übergeben. Finanz- und Rechnungswesen, Weinhandel, Weinhandlungen, Weingut, Handwerksbetriebe. Wir arbeiten Seite an Seite, reden sehr viel miteinander, tauschen uns aus, Gesprächsstoff gibt es allemal reichlich, besonders in Zeiten wie diesen.
– Sie machen sich in einem Büchlein Gedanken über die Grundhaltung, die Werte von Bindella. Und zitieren dabei auch den französischen Literaturnobelpreisträger André Gid
e.
Ja, das trifft es auf den Kopf. Wenn es um Entwicklung von Menschen, das Fördern von Talenten geht. ‹Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.› Das Büchlein bekommt jeder Mitarbeiter, der bei uns eintritt, samt persönlicher Widmung.
– Zurzeit zählt Bindella rund 1300 Mitarbeiter.
Schön ist, dass sie aus mehr als 60 Ländern kommen, von allen Kontinenten. Viele sind seit zehn, zwanzig, dreissig und mehr Jahren dabei. Oft arbeiten mehrere Mitglieder oder Generationen einer Familie bei uns.
– Sie haben am Freiburger Collège St-Michel in den 1960er-Jahren die Matura gemacht, danach an der HSG in St. Gallen studiert und 1974 dort doktoriert. Da war noch nicht viel mit Italien.
Doch, doch. 1971 war ich ein Gastsemester lang an der Uni in Perugia und habe während dieses Aufenthalts Umbrien und die Toskana bereist und schätzen gelernt. Öfters habe ich seinerzeit auch meinen Vater begleitet, wenn er Weingüter in der Toskana besucht hat, etwa die Antinoris.
– Ein bisschen ‹La vita è b
ella›?
Lebensfreude und Leidenschaft gehören zu unserer Familie, das haben wir im Blut. ‹La vita è bella› – das Leben ist schön – steht wie gemeisselt über unseren Unternehmungen.
– Haben Sie nicht bereits 1986 eine neue Cantina für die Tenuta Vallocaia gebaut?
Ja, das stimmt. Sie wurde dann aber unseren hohen Qualitätsansprüchen nicht mehr gerecht. Wir dachten zuerst an einen Umbau, entschieden uns dann aber für einen Neubau und zusätzliche Erweiterungen. Wir beauftragten damit wieder das gleiche Architektur-Büro in Montepulciano, das der Fiorinis. Fabio Fiorini ist Architekt des neuen Kellers mit Besucherzentrum und allem Drum und Dran. Sein Vater hatte damals im Jahr 1986 die Kellerei neu gebaut.
– Die erste Parzelle, die Sie erworben haben, gehörte einst der Kirche?
Das Land stammte aus einer Erbschaft. Von einer Frau, die damals zahlreiche Ländereien der Kirche vermacht hatte.
– Wie hoch waren die Investitionen für den gesamten Neubau der Tenuta Vallocaia?
16 Millionen Euro. Wir wünschten uns einen modernen, funktionalen Bau, der sich vollständig in die Landschaft einfügt. Bei den Baumaterialien wollten wir solche verwenden, die an die Natur erinnern, die sich gekonnt ergänzen. Ziegel, Holz, Glas und Erde. Jetzt, nach sechs Jahren, ist alles aus einem Guss. 30 Prozent des benötigten Stroms auf dem Gut werden übrigens mit Solarenegie erzeugt.
– Der Fasskeller mit seinen imposanten Säulen, der sich über
1500 Quadratmeter erstreckt, wirkt wie ein unterirdischer Tempel.

In 210 Eichenfässern reift da unser Wein. Vom Besucherzentrum führt eine galerienartige Brücke über den Fasskeller, dessen Gewölbe in Giotto- Blau gestrichen ist.

Die neue Kellerei, der neue Fasskeller: Nach sechs Jahren Bauzeit und Investitionen in der Höhe von 16 Millionen Euro wirkt das gesamte Ensemble der neuen Tenuta Vallocaia wie aus einem Guss. (Fotos: Alessandro Moggl, Gian Marco Castelberg)


– Wer sich heute die Tenuta Vallocaia anschaut und Ihre Restaurants in der Schweiz kennt, wird sagen: unverkennbar Bindella.
Das freut mich. Ich bin der festen Überzeugung, dass man in liebevoll ge- pflegter Umgebung besser isst, dass man in liebloser Umgebung keinen guten Wein machen kann.
– Wurde für das Vallocaia-Bistro «Sereno» ein eigener Koch engagiert?
Ja, für eine authentische Küche sorgt mit Luca Biancucci ein Küchenchef, der lange auf dem Weingut Avignonesi gearbeitet hat. Neben einfachen Gerichten bietet er ein Degustationsmenü an, auf Voranmeldung. Einen Dreigänger, zu dem drei verschiedene Weine kredenzt werden.
– Das Bistro «Sereno» hat 80 Plätze.
Wir möchten möglichst viele Besucher auf Vallocaia empfangen. Bieten auch Kochkurse und professionelle Degustationen an.
– Was im «Sereno» auffällt, sind die vielen dekorativen Glocken
an den Wänden.

Die sind aus meiner Sammlung. Ich mag die symbolische Bedeutung von Glocken, die immer bei wichtigen Ereignissen zum Einsatz kommen.
– Auffällig sind auch die vielen Kronleuchter.
Die sind ebenfalls aus meiner Sammlung. Wie die Amphoren und Ton- vasen, die wir draussen und drinnen platziert haben und perfekt hierher passen.
– Womit wir zur Kunst kommen.
In allen unseren Unternehmungen ist die Kunst selbstverständlicher Be- standteil. Als Stille, wohltuende Kraft. Sie prägt die Umgebung und wirkt sich positiv auf die Mitarbeitenden und die Gäste aus.
– Einen besonderen Platz nehmen die filigranen Skulpturen von Flora Steiger-Crawford und die farbstarken Gemälde des Berliner Künstlers Christoph Lehmpfuhl ein.
Flora Steiger-Crawford war nicht nur Bildhauerin, sondern auch Möbel- designerin und die erste diplomierte Architektin der Schweiz. Christoph Lehmpfuhls Arbeit verfolge ich schon länger. Er ist für die Bilder, die jetzt auf Vallocaia hängen, etwa zehnmal in die Toskana gereist. Er arbeitet nicht mit Pinseln, sondern formt und modelliert mit seinen Fingern, die in Gummihandschuhen stecken, berauschende Farblandschaften.
– Ihre Tochter ist 10. Weiss sie schon, was ihr Vater am liebsten trinkt?
Ich mache das bei ihr gleich, wie ich das mit meinen vier Söhnen gemacht hatte. Der erste Schluck Wein im Glas gehört ihr. Manchmal mag Gioia das, manchmal überhaupt nicht.
– Ihre Tochter ist die Namensgeberin eines Vallocaia-Weins.
Der Cabernet Sauvignon von Vallocaia trägt den Namen meiner Tochter, ist Gioia gewidmet. Heute ein reinsortiger Wein, wird daraus in Zukunft vielleicht einmal eine Assemblage aus Cabernet Sauvignon mit etwas Cabernet franc.
– Sie scheinen inzwischen mehr Winzer als Weinhändler zu sein.
Nein, nein. Aber es ist ein grosser Unterschied, ob man als Weinhändler einfach Wein kauft und verkauft oder ob man ihn auch selber produziert. Das sorgt logischerweise für mehr Glaubwürdigkeit.
– 11 Weine werden auf Vallocaia gekeltert. Ein grosser Teil
der Produktion soll exportiert werden.

Um 60 Prozent der Produktion gehen in die Schweiz, um 20 Prozent werden in Italien verkauft.
– Wie sieht das beim Olivenöl aus?
Da treten die kommerziellen Interessen eher in den Hintergrund. 90 Prozent des Olivenöls benötigen wir für unsere Restaurants in der Schweiz.
– Was braucht es, um ein Weingut, ein Unternehmen erfolgreich
zu führen?

Ausdauer, Geduld und Weitsicht.

SHORT FACTS
TENUTA VALLOCAIA

GRÜNDUNG 1983
ERÖFFNUNG NEUBAU Juni 2021
GRÖSSE 145 Hektaren
WEINBERGE In fünf Anbau­ gebieten des Vino Nobile di Montepulciano: Argiano, Cervognano, Casalte, Sanguineto, Paterno
REBFLÄCHE 54 ha. Plus Oliven­ haine (16 ha), Ackerland (40 ha) und Wälder (36 ha)
LAGEN Vallocaia (21 ha), Camparone (14 ha), Casalte (11 ha), Santa Maria (5,5 ha) und Fossolupaio (1,7 ha)
REBSORTEN (EINHEIMISCH) Sangiovese, Colorino, Canaiolo, Mammolo, Treb­ biano, Malvasia, Grechetto
REBSORTEN (INTERNATIONAL) Sauvignon blanc, Syrah, Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet franc
GUTSVERWALTER UND CHEF-ÖNOLOGE Giovanni Capuano
ADRESSE Bindella srl società agricola, Via delle Tre Berte 10/A, I­53045 Montepulciano (SI)
FON +39 0578 767777
INTERNET www.bindella.it

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