1976 war der Mauerfall in der Weinwelt. Der englische Weinkritiker und Weinhändler Steven Spurrier organisierte eine Verkostung mit renommierten Weinen aus der Alten und der Neuen Welt. Dabei gingen die Höchstnoten nicht wie erwartet an französische, sondern an kalifornische Weine. Quelle horreur! Das Ereignis ging als «Judgment of Paris» in die Geschichte ein; Steven Spurrier berichtet darüber im eben erschienenen Buch «Wine – a way of life». Jahre später versammelte der kürzlich verstorbene August F. Winkler, Weinkritiker und Gourmetjournalist, ein Dutzend Kollegen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in der Residenz Heinz Winkler im bayrischen Aschau. Im Auftrag von Österreich Wein Marketing traten 75 Sauvignons blancs aus aller Welt zum Wettstreit an. Der gebürtige Steirer Winkler hatte dafür 25 österreichische Gewächse ausgewählt. Bei den andern Weinen aus neun Ländern handelte es sich um Klassiker wie etwa Domaine de Chevalier aus dem Bordelais, Silex von Didier Dagueneau, de Ladoucette Baron de L von der Loire, Neuseelands Cloudy Bay und Jermanns Sauvignon aus dem Friaul und Gajas Alteni di Brassica oder aber um Geheimtipps wie Jean-Pierre Pellegrins Genfer Sauvignon (Rang 4) und den Saga der I Vinautori aus der Valtellina (Rang 20). Das Verdikt von Aschau: acht der Top-10-Weine hatten österreichische Herkunft, und bis auf den Siegerwein Fahnberg von Jurtschitsch stammten allesamt aus der Sauvignon-Hochburg Steiermark. Man schrieb das Jahr 2004; damals mass die Anbaufläche für Sauvignon in Österreich keine 800 Hektaren, heute sind es 1170 Hektaren – Erfolg beflügelt.

Erst Ende der 1980er-Jahre mauserte sich der Muskat-Sylvaner, wie der Sauvignon blanc damals üblicherweise bezeichnet wurde, zur Trendsorte

«Maracuja», raunte der Verkoster zur Rechten in Aschau. Es betraf Muster 16, den Sauvignon Quarz der Kellerei Terlan. Er war offensichtlich ein Kenner exotischer Früchte. Eine späte Lese hilft bei der Entwicklung extischer Aromen mit. Von ganz anderem Charakter sind Sauvignon-Typen, die an Florales, an Holunder oder an «pipi de chat» erinnern. Das findet oft stärkeren Ausdruck, als den Produzenten lieb ist, doch zu deren Glück finden sich meist für alle Eigenarten auch Liebhaber. Eindrücklich präsentierte sich am Aschauer Tribunal die Spargelfraktion. Über ein Dutzend der 75 verkosteten Weine zeichneten sich durch eine mehr oder weniger starke, aber eindeutig an grünen Spargel erinnernde Aromatik aus, und alle stammten sie aus der Steiermark. Ganz besonders in der Südsteiermark, der sogenannten Toskana Österreichs, ist der Sauvignon bei den Winzern beliebt. Doch erst Ende der Achtzigerjahre mauserte sich der Muskat-Sylvaner, wie hier der Sauvignon damals üblicherweise bezeichnet wurde, zur Trendsorte, und dies trotz eigentümlichem Aroma. Woher stammte dieser Spargelton? Tischnachbar Peter Moser, Chefredaktor «Falstaff», vermutete die stark- wüchsige Unterlagsrebe Aramon als Ursache. Sie wurde in den Fünfzigerjahren weiträumig ausgepflanzt, mittlerweile ist sie nicht mehr zugelassen.

Ganz besonders in der Südsteiermark, der sogenannten Toskana Österreichs, ist der Sauvignon bei den Winzern beliebt

Heute ist Spargel-Sauvignon eine Rarität, wie die Verkostung im Palais Niederösterreich Anfang Juni 2018 deutlich machte. Die Muster stammten mehrheitlich aus dem Jahrgang 2015 und wurden vom Veranstalter aufgrund überdurchschnittlicher Bewertungen in einschlägigen österreichischen Weinführern selektioniert. «Jahrgangs- ton gelb», meinte Kollege Willi Balanjuk von «A la carte». Balanjuk ist für seinen Freimut bekannt, und so hat er denn auch eine klare Einschätzung zum Jahrgang 2015. «Ein heisses Jahr, bei dem Sorten wie Sauvignon nicht optimal zur Geltung kommen.» Mittlere Intensität zeichne die Weine generell aus, langfristig würden sie sich vermutlich zu guten Weinen entwickeln, jetzt präsentierten sie sich etwas unter ihrem Wert… Dass im Festsaal des Palais Niederösterreich Jahrgang 2015 und nicht die als höher eingestuften Nachfolgejahrgänge gezeigt wurden, hat einen praktischen Grund: 2016 wurde die Steiermark von verheerendem Frühjahrsfrost getroffen, die Ernte fiel minimal aus, und die 2017er sind grösstenteils noch nicht fertig ausgebaut, ältere Jahrgänge ausgetrunken.

Und ja, der steirische Spargelton ist Geschichte. Die Winzer ernten später und in mehreren Durchgängen, lassen vor dem Abpressen die Beeren im Saft mazerieren, lassen den Most spontan vergären, bauen die Weine wieder vermehrt in grossen Holzfässern und länger auf der Hefe aus. Einige experimentieren mit dem Ausbau in Amphoren und fügen nur minimale Schwefelmengen zu oder verzichten gar vollständig darauf. Das und vieles mehr hat das aromatische Spektrum erweitert und lässt den Körperbau vielfältiger erscheinen – alles in allem ein Gewinn.

Das Weingut Polz in der Südsteiermark steht
 für das Schöne, den Genuss, die Ästhetik. Letzteres zeigt der moderne Zubau des Weingutes in Glas und Stein mit Vinothek und Verkaufsräumen.
(Foto: Steve Haider)

Unter den Top 10 der Wiener Verkostung 2018 befinden sich auch drei Granden des Aschauer Tribunals: Neumeister aus Straden, Erwin Sabathi aus Leutschach, Polz aus Spielfeld – Steirer alle drei. Zu den grossen Abwesenden zählt Tement. Sein Zieregg gilt vielen als State of the Art. Der 2015er zeigte sich verschlossen, karg und kompliziert, auch das Muster einer zweiten Flasche (Glasverschluss) und auch im Kelch nach mehrmaligem Verkosten während der Veranstaltungsdauer. Tements Zieregg stammt aus insgesamt 20 Hektaren, es gibt davon mehrere Abfüllungen, die allerdings nicht gekennzeichnet werden. Une affaire à suivre …

SHORT FACTS
SAUVIGNON-DEGUSTATION

DEGUSTATION Palais Nieder­österreich, Wien
VERANSTALTUNG VieVinum, 8. Juni 2018
THEMA Sauvignon blanc aus Österreich
ANZAHL WEINE 31
ANBAUFLÄCHE SAUVIGNON 1170 Hektaren
ANTEIL AN GESAMTFLÄCHE 2,7 Prozent
STEIERMARK 623 Hektaren
NIEDERÖSTERREICH 289 Hektaren
BURGENLAND 226 Hektaren
WIEN 15 Hektaren
ANDERE 17 Hektaren

WEINE SAUVIGNON BLANC AUS OESTERREICH