«Ich wollte immer Weine von derartiger Präzision erzeugen. Aus niedrigen Erträgen gewonnen, straff, salzig, im Holz ausgebaut, aber nie von diesem dominiert»
Alexandre Avatangelos, T- O i n o s – I n i t i a n t

Wer Tinos sieht, ist verzaubert. So ging es jedenfalls Alexandre Avatangelos, als er die griechische Kykladen-Insel vor fast zwei Jahrzehnten betrat. So ging es auch dem Schweizer Jacques Perrin, als er 2016 Eiland und Weinbau entdeckte. Zu diesem Zeitpunkt indes waren die Reben schon zu erheblicher Grösse herangewachsen, hatte sich die Ernsthaftigkeit dieses Weinbauprojekts herumgesprochen. Insider wie der französische Sommelier Gérard Margeon, Weinexperte Nummer eins des Kochs und Gastrounternehmers Alain Ducasse, waren längst aufmerksam geworden auf das Projekt eines Menschen, den sich ein Romanautor kaum hätte ausdenken können.

Weingespräche. Zweimal hat Alexandre Avatangelos bereits den verantwortlichen Weinmacher gewechselt. Seit 2016 ist der weltweit gefragte Star­-Önologe Stéphane Derenoncourt, der im Bordelais Weingüter wie Carmes Haut-­Brion, Poujeaux oder Smith Haut-Lafitte berät, der massgebliche Winemaker von T­-Oinos. (Foto: George Vdokakis)

Alexandre Avatangelos ist ein Grieche aus dem Bilderbuch. Philosophie hat er studiert, wie es gefühlt alle Griechen tun, als umtriebiger Geschäftsmann hat er gearbeitet, als Diplomat. Man hat das Gefühl, dass er fast jeden kennt in der griechischen Politik und in der französischen wenigstens die Hälfte. Jetzt freilich kümmert er sich in erster Linie um seine Reben, an der Spitze jene aus dem Clos Stegasta, einem auf 400 bis 450 Metern gelegenen, von kühlen Winden durchzogenen Weinberg mit sandigen Böden auf Granituntergrund. Als Avatangelos anfing mit der Pflanzung auf Tinos, im Jahr 2002, dachte auf der kleinen Insel niemand mehr an Weinbau. Dabei lassen die unzähligen Terrassen, die sich bis in die Höhen ziehen, die lange Geschichte der hiesigen Rebkultur erahnen. Schon in der Antike wurde auf Tinos Traubensaft vergoren, in der Zeit vom 15. bis zum frühen 18. Jahrhundert erlebte der Weinbau Höhepunkte. Doch irgendwann entwickelte sich die Sache anders als anderswo. Während Santorin zum Hotspot für Touristen aufstieg und Mykonos auch jenen Feriengästen ein Begriff ist, die mit griechischer Philosophie nichts im Sinn haben, blieb Tinos ein Tipp für Eingeweihte. Die letzten Weinberge wurden schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts aufgegeben. Zu steil, zu mühsam, zu wenig etablierte Absatzmärkte. Um hier zu investieren, muss man ziemlich verrückt sein und dazu noch eine klare Vorstellung haben, was man machen will. «Ich wollte immer einen Wein machen wie diesen hier», sagt Avatangelos, der mit seiner aus Frankreich stammenden Frau auf Tinos lebt, sofern er sich nicht in seinem Athener Büro immer noch um diplomatische Angelegenheiten kümmert. Einen Wein wollte er machen wie den Assyrtiko aus dem Clos Stegasta, aus niedrigen Erträgen gewonnen, straff, salzig, im Holz ausgebaut, aber nie von diesem dominiert: 2017 und 2018 besser denn je. Noch eine Nummer konzentrierter ist der «Rare» genannte Wein, eine Rarität, die aus dem Top-Material selektiert wird. Winzige Mengen, ein für griechische Weine hoher Preis – und ein Stil, der ganz anders ist als anderere Assyrtikos des Landes. Alexandre Avatangelos stellt zum Vergleich zwei Weine von Santorin auf den Tisch, zwei der renommiertesten. Sie haben mit ihrer behäbigen Art keine Chance gegen seinen, der unter dem Projektnamen T-Oinos firmiert.

In der Granitlandschaft des Weingutes: Gérard Margeon ganz links), franzö­sischer Sommelier und Weinexperte Nummer 1 beim weltbekannten Koch Alain Ducasse (ein wichtiger Abnehmer von T­-Oinos­-Weinen), zusammen mit T­-Oinos­-Initiant Alexandre Avatangelos und Weinberater Stéphane Derenoncourt. (Foto: George Vdokakis)

«Niemals habe ich einen besseren Assyrtiko getrunken als den von Alexandre Avatangelos»
Jacques Perrin, Weinhändler

Jacques Perrin, Weinhändler und Chef des Schweizer Weinclubs Cave SA, ist von Tinos verzaubert, lebt teils auf der Insel. Stéphane Derenoncourt kann als önologischer Weltreisender höchstens davon träumen.


Die Finesse hat auch Jacques Perrin überzeugt, den Chef des Schweizer Weinclubs Cave SA. In Frankreich habe er von diesem Abenteurer gehört, erzählt Perrin, habe sich auf den Weg gemacht. Von der Schweiz nach Athen, dann vom Flughafen zum Hafen von Rafina. Die Fähre «Theologos P» benötigt vier Stunden bis Tinos, entlässt auch in der Hochsaison vergleichsweise wenige Touristen am Hafen von Choros, dem Hauptort der Insel. Ein Hort der Individualbesucher ist das kleine Eiland, für jene Gourmets, die sich im Restaurant «Itan Ena Mikro Karavi» frischen Fisch servieren lassen, viel Gemüse, Olivenöl der Insel, die besten Tomaten. Mit jener langweiligen, pseudomediterranen Küche, die man in der Schweiz bekommt, in sogenannten griechischen Restaurants, hat all dies nichts zu tun. Nicht nur die Assyrtikos allerdings sind wie gemacht als Begleiter ausdrucksstarker Speisen, auch der Rosé ist es. Jacques Perrin hatte die Idee zu diesem frischen, duftigen, rassigen Wein, dem Einstieg in die Welt von T-Oinos. Bald wird Perrin, der mittlerweile auch über einen Wohnsitz auf Tinos verfügt, noch tiefer einsteigen; eine Kooperation ist geplant, die neue Kellerei soll bald entstehen. Hoch oben auf Tinos, in atemberaubender Lage über dem Meer. Auch für einen bestens vernetzten Menschen wie Alexandre Avatangelos war es nicht einfach, alle Genehmigungen zu erhalten, doch nun ist der Baubeginn in greifbare Nähe gerückt.

Michalis Tzanoulinos, ein auf Tinos geborener Grieche, kümmert sich um die dicht bepflanzten Weinberge. (Foto: GEorge Vdokakis)

Das beste Team hat der Chef eh schon beisammen. Michalis Tzanoulinos natürlich, einen schweigsamen Griechen, der auf Tinos geboren wurde und sich um die extrem dicht gepflanzten Weinberge – zwischen 10000 und 11500 Stöcke sind es pro Hektare – kümmert wie um die eigenen Kinder. Thànos Gèorgilas, den akribischen Manager der Kellerei. Und natürlich jene Person, die massgeblich hinter der Finesse der T-Oinos-Weine steckt, den Winemaker. Zweimal habe er den verantwortlichen Weinmacher gewechselt, erzählt Avatangelos. Seit 2016 nun ist Stéphane Derenoncourt zuständig für T-Oinos, der bekannte französische Önologe, der regelmässig auf Tinos vorbeischaut. Tatsächlich sind die 2017er und 2018er noch spannender, noch finessenreicher als sämtliche Vorgängerweine. Nicht nur die Weissen, sondern auch die Roten aus dem Clos Stegasta, die reinsortigen Mavrotraganos voller mediterraner Würze. Zu kraftvoll für Fischgerichte, aber gerade richtig, um den hiesigen Malathouni-Käse zu begleiten. Schon bei der Verkostung der roten «Rare»-Weine aus 2017 und 2018, spätestens auf der im Sonnenuntergang ablegenden Fähre «Theologos P», verschwimmen Realität und Phantasie. Ist es wirklich echt, das Projekt des Geschäfte machenden Philosophen auf jener Insel, die schon von Aristoteles erwähnt wurde? Wer dies endgültig feststellen will, muss die Reise schon selbst antreten.

Über eine Erdpiste zu erreichen: die Weinberge von T­-Oinos in der Region Stegasta. (Foto: George Vdokakis)

WEINE T-OINOS