An den Herbst 2015 kann sich Luigi Zanini noch ziemlich gut erinnern. Alles habe damals gepasst, erinnert sich der Tessiner Winzer, der zusammen mit seinem Sohn Luigi junior für den schönsten Wein des Jahres nach Wahl der SCHWEIZERISCHEN WEINZEITUNG verantwortlich zeichnet. Den Merlot für den Castello Luigi habe man am 25. Septem­ber geerntet, beim Cabernet Sauvignon liess sich das Team noch ein paar Tage mehr Zeit und wartete den 30. Septem­ber ab. Was im Kontext spät war, schliesslich hatte das warme Jahr die Konkurrenz vielfach schon früher zur Schere greifen lassen. Doch alles so zu machen wie anders­ wo, ist hier nicht das Ziel; man reizt die Möglichkeiten aus auf Castello Luigi, wo ja nicht nur ein Luigi die Ver­antwortung trägt, sondern wo Vater und Sohn zusammen für Ausnahmeweine sorgen. Doch niemand soll glauben, dass späte Lese um jeden Preis, dass hohe Mostgewichte um ihrer selbst willen angestrebt würden. Ganz im Gegen­ teil, auch auf einem der berühmtesten Weinschlösser der Schweiz hat man in den letzten beiden Jahrzehnten dazu­ gelernt. «Wir versuchen eine optimale Reifung ohne ein Zuviel an Alkohol zu bekommen.» Eleganz ist das Stich­ wort, Finesse soll es richten. Eine Philosophie, die dem Stil des Castello Luigi mehr und mehr anzumerken ist – sowohl beim von Merlot geprägten roten als auch beim aus Chardonnay gekelterten, immer mehr an einen grossen Burgunder erinnernden weissen. «Man muss den richtigen Zeitpunkt zur Ernte finden», sagt Luigi Zanini. Und die ideale Menge. Ein paar hundert Gramm pro Stock, das war’s.

Wer die Geschichte des Weinguts von Anfang an verfolgt hat, erkennt die Konsequenz. Ehrgeizige Ziele standen ja immer am Beginn der Zanini ­Projekte, und ohne kühne Träume wäre kaum das zustandegekommen, was sich als eines der ambitioniertesten eidgenössischen Weinprojekte herauskristallisiert hat. Ein Wunder aber war es nicht. Hat sich stattdessen fast logisch entwickelt seit 1988, als das Grundstück in Besazio gekauft wurde. Von Anfang an konzipiert als belebtes Gut. «Die Idee meines Vaters war, in einem Haus zu wohnen, das mitten in den Rebbergen lag», erinnert sich Zanini junior. Genau dieses war freilich zunächst wenig repräsentativ. Ein Bauernhaus, aber nicht jenes Gebäude, mit dem man den Bordelaiser Winzern hätte nacheifern können. Und wenn sich einer auskannte mit dem Weinbaugebiet im Süd­westen Frankreichs, dann Luigi Zanini senior. Jährliche Reisen machte er, liess sich faszinieren von der dortigen Architektur einerseits, von der Klasse der Bordeaux­ Weine andererseits. Daheim im Tessin setzte er die Anregungen um. Dort, wo er ja bereits als Weinhändler und Produzent erfolgreich war, wo er 1985 mit seinem Projekt Vinattieri durchgestartet war. Castello Luigi, das sollte die Krönung sein, ein weiterer, ein besonders konsequenter Schritt. Drei Hektaren Reben waren es am Anfang, viel Merlot und etwas Cabernet Sauvignon auf roter Seite, ausschliesslich Char­donnay auf weisser. Dann aber liess man sich Zeit. Nichts überstürzen, keine halben Sachen. Obwohl schon bald kleine Mengen als Jungfernernte eingebracht werden konn­ten, sollten noch einige Jahre vergehen, bis Vergorenes in den Verkauf gelangte. «Aus dem Jahrgang 1997 kam der erste rote Castello Luigi auf den Markt», so Zanini. Ein grossartiges Jahr, allein schon seiner idealen Wetterbe­dingungen wegen, aber auch eines, in dem endlich die Erlaubnis eintraf, ein neues Gebäude zu errichten. Das Bauernhaus musste weichen, es entstand ein Schloss, das auch auf den zweiten und dritten Blick eher ins Bor­delais passt als ins Tessin; Kenner der hochklassifizierten Gewächse Frankreichs fühlen sich ans Château Palmer erinnert. Und selbst jene, die sich eine fürs Tessin typis­chere Architektur gewünscht hätten, erkennen die Durch­setzungsfreudigkeit der Zaninis an, ihren Willen, den Tessiner Wein qualitativ in neue Höhen zu treiben. Und sei es nur, indem man ihn in einem Weinkeller reifen lässt, der auch im Médoc stehen könnte. Mehr als 18 Meter tief, spiralförmig und dank den Bedingungen ideal zur schonenden Verarbeitung der Moste, nicht zuletzt aber auch ein repräsentatives Prachtstück.

Vollziehen den langsamsten Generationswechsel der gesamten Weinszene: Seit 25 Jahren arbeiten Luigi Zanini senior und Luigi Zanini junior zusammen. «Wir funktionieren wie die besten Freunde. Das geht fantastisch. Nie gibt es Streit.»
(Foto: Guillaume Perret)

Repräsentativ soll auch der Wein schmecken und entsprechend auftreten. «Der Castello Luigi war am An­fang teurer als der Vinattieri», erinnert sich Luigi Zanini junior. Inzwischen haben sich die Tarife angeglichen, aber noch immer steht ein imaginäres Ausrufezeichen hinter den drei Ziffern, die sich zu einer in der Schweiz ausser­ gewöhnlich hohen Zahl addieren. Deutlich über 100 Fran­ken für eine 0,75 Liter fassende Flasche, das ist einerseits verwegen. Doch es ist auch, andererseits, immer noch ein Stück entfernt von dem, was man für einen Château Palmer exzellenter Ernte hinlegen muss. Warum also von hohen Preisen reden, wo doch der Aufwand in Besazio beachtlich ist? Geringe Erträge von vier bis fünf Trauben pro Stock, eine aufwendige Produktion, die im Vergleich zur Anfangs­zeit deutlich erhöht wurde. Neue Flächen, mehr als viermal so viele wie am Anfang. Anderes sei allerdings geblieben,wie es schon vor 20 Jahren war, sagt Luigi Zanini. «Ein Teil der Trauben wird immer noch mit den Füssen ge­stampft.» Reduziert wurde dagegen der Anteil der neuen Fässer. Zu Beginn seien ausschliesslich die genutzt wor­den, sagt der Co­Chef. Dann habe man erkannt, dass auch eine geringere Marge an frisch geröstetem Holz ausreicht. 70 Prozent seien heute neu, der Rest werde zum zweiten Mal genutzt. Und auch nur dann, wenn die Fässer von jenen beiden Tonneliers stammen, auf deren Ware sich die Zaninis nach langen Jahren des Tüftelns und Experimen­tierens, der Reisen nach Frankreich und der Beobachtung geeinigt haben. «Wir haben bei der Eiche viel probiert», bestätigt Zanini junior. Seguin Moreau und Taransaud machten schliesslich das Rennen. Nicht nur mit den klassischen 225 ­Liter ­Barriques, sondern auch mit den 150 Liter fassenden Spezialgefässen, die regelmässig Ver­wendung finden. Ist die Experimentiererei bei den Lager­ und Reifebehältern offenbar weitgehend abgeschlossen, wird im Rebberg weiter gefeilt, das zunehmende Alter der Pflanzen macht die Zukunftsaussichten rosig. Auch jene des Jahrgangs 2015, dem nicht nur Hellseher lange Haltbar­keit zutrauen. Wäre ja gelacht, wenn sich nicht langsam auch bezüglich Reifeverhalten Tessiner Spitzen zu den grossen Bordelaiser Crus aufschliessen. Zumal die innere Qualität der Beeren stimmte. «2015 hatten wir auf Castello Luigi und Vinattieri die höchsten Extraktwerte, die wir je­mals analysieren konnten», schwärmen Luigi Zanini junior und senior. Diese nicht in ein dunkles Monster, sondern in einen komplexen Wein mit Trinkfluss verwandelt zu haben, ist ein Sonderlob wert.

Luigi Zanini senior hat mal versucht nachzurechnen. Zwischen 4000 und 5000 Weine degustiert er jährlich – die eigenen, dann jeden Weissen und Roten, der importiert wird, vor allem Italiener, dann Bordeaux, um mit den eigenen Weinen zu vergleichen.
(Foto: Hans-Peter Siffert / weinweltfoto.ch)

WEIN DES JAHRES 2017

DIE 100 SCHÖNSTEN WEINE DER SCHWEIZ 2017