Der reinsortige Merlot-Cru Il Canto della Terra
ist eine Hommage an Gustav Mahlers Komposition «Das Lied von der Erde»


Zwei Dinge gehören unabdingbar zu Ivo Monti: der tätowierte Anker auf dem rechten Unterarm (er stammt aus jener Zeit, als er Offizier auf einem Frachtschiff auf hoher See war) und seine Hüte, Zeugen seiner Sammelleidenschaft. (Foto: Hans-Peter Siffert / weinweltfoto.ch)


Nein, nein, wehrt Ivo Monti lachend ab. Er sei es nicht selbst, der die Merlottrauben mit den Füssen stampfe. Jene, die für den Canto della Terra vorgesehen seien, seinen Spitzen- und Kultwein, den vielleicht spannendsten Merlot der Schweiz. Mit seinen 90 Kilogramm sei er nicht die geeignete Person für diese Tätigkeit. Um das richtige Ergebnis zu erzielen, müsse alles stimmen, dürfe nicht zu viel Druck ausgeübt werden, aber auch nicht zu wenig. Auf dass die Tannine nicht dominieren, aber doch so viel Stoffe aus den Schalen gelöst werden, dass sich am Ende alles zu einer Einheit zusammenfügt. Am Merlot und am Terroir scheint es also nur zum Teil zu liegen, dass der Vorzeigetropfen der Cantina Monti seit einigen Jahren zu den besten Weinen der Schweiz zählt – es geht auch um eine Qualitätsphilosophie, wie sie in dieser Konsequenz selten zu finden ist.

Spätestens jetzt zahlt sich aus, was Sergio Monti schon in den 70ern des letzten Jahrhunderts begonnen hat. Aus dem verwilderten Nichts schuf der Tessiner damals einen Weinberg, der von Anfang an Qualität erzeugen sollte. Ronchi di Cademario nennt sich die Ecke, in der die Familie seit Jahrhunderten Land besitzt. Den Ehrgeiz zur Bearbeitung desselben aber entwickelte Neuwinzer Sergio Monti erst allmählich. Ein glimpflich verlaufener Autounfall stand am Anfang, es folgte der Ratschlag des Arztes, sich an der frischen Luft zu betätigen. Monti liess sich das nicht zweimal sagen, schien bald Gefallen gefunden zu haben an der harten Arbeit des Unkrautjätens und Schneidens, bewies Talent. Denn was in den folgenden Jahren entstand, im Malcantone, lässt sich nicht ausschliesslich mit therapeutischen Massnahmen und dem Zufall erklären. 1972 begann der Quereinsteiger, den Weinberg herzurichten, 1976 war es dann so weit: In reiner Handarbeit entstand der erste Wein. Nach und nach wurde die Produktion erweitert, Rebsorten wurden angepasst und ergänzt. Sohn Ivo Monti machte seit Mitte der 80er-Jahre mit, trat nach einer für Tessiner unüblichen Karriere auf hoher See in die Fussstapfen des Gründers der Cantina. Dass sich Vater und Sohn fortbildeten, dass sie ihre Blicke nicht nur in die Umgebung richteten und ins nahe Italien, sondern auch in Bordeaux Erkenntnisse zur Vinifikation sammelten, muss betont werden. Der weite Blick über den Tellerrand war damals eine Besonderheit und ist auch heute nicht selbstverständlich.

Das Programm des Weingutes war und blieb überschaubar, auch wenn die Rebfläche gesteigert wurde, auch wenn heute neben den Parzellen in Cademario solche in Morbio Inferiore bewirtschaftet werden. Es gab hier von Anfang an keine überbordende Auswahl an Weinen, für jeden Kundengeschmack zugeschnitten, sondern eine aussergewöhnliche Fokussierung. Man konnte es deshalb schon fast als Sensation betrachten, als Ivo Monti vor fast zwei Jahrzehnten mit einer flüssigen Novität aufwartete. Das Millennium sei der richtige Anlass gewesen, über einen neuen Wein nachzudenken, erinnert sich der Tessiner. Nicht nur, weil das Jahr gefeiert werden wollte, sondern auch, weil die Reben anno 2000 ins richtige Alter zu kommen begannen. Ertragsreduktion war von Anfang an ein Thema in der Cantina Monti und wurde nun, beim Canto della Terra, auf die Spitze getrieben. «Vier bis fünf Trauben sind es pro Pflanze», erklärt Ivo Monti. Oder anders ausgedrückt: Man braucht in aller Regel schon die Ernte von zwei oder gar drei Rebstöcken, um eine Flasche von jenem Merlot zu erzeugen, dem der eigenwillige Name zugedacht wurde.

WEIN DES JAHRES 2019


CANTINA MONTI
CADEMARIO

2017 IL CANTO DELLA TERRA
100 % Merlot
Fein konzentriertes, komplexes, frisches, cremiges Bouquet, Himbeergelee, Erdbeeren, frische Kräuter, heller Tabak, Minze, Red Currant. Dichter, vielschichtiger, eleganter, feinfruchtiger Gaumen, viel feines Tannin, fein cremige, zart muskulöse Struktur, vielfältige, dichte Aromatik, dichte, süsse Frucht, sehr langer, frischer, voller Abgang.
19/20 2024–2048

Canto della Terra ist wohl am besten mit dem Begriff «Lied von der Erde» zu übersetzen, mit dem Namen jenes Stückes, das Gustav Mahler Anfang des 20. Jahrhunderts komponierte. Eigenwillig, gefühlvoll, tiefgründig und anregend zeigt sich Mahlers in einer schwierigen Lebensphase erarbeitetes Stück, ebenso überraschend, nachhaltig und vielschichtig ist auch der Wein. Viel komplexer als der ebenfalls komplett aus Merlot gekelterte Rovere, ein anderer Rotwein des Gutes, welcher sich wiederum deutlich vom dritten unterscheidet, dem Malcantone Rosso dei Ronchi, einer Cuvée aus Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet franc und anderen Sorten. Filtriert wird übrigens keiner der Rotweine, und was das Pumpen angeht, ist Monti ohnehin strikt. «Auch das beste Pumpen macht die Zellen kaputt», sagt der Winzer in einem Tonfall, der klarmacht, wie zuwider es ihm wäre, seine Moste strapaziösen Transportvorgängen zu unterziehen. Doch es geht auch um das Holz. Neue Barriques sind es, in denen der Canto della Terra reift, aber es ist das beste Holz, das man bekommen kann. Von ganz speziellen uralten Eichen erhalte er Jahr für Jahr Fässer, erzählt Monti. Gepflanzt worden seien die Bäume im Frankreich des 15. Jahrhunderts und lieferten besondere Gebinde. Ein Mosaikstein, gewiss, aber ein wichtiger. Ein bis eineinhalb Jahre reift der Wein im Fass, abhängig von den Bedingungen des Herbstes und dem Eindruck, den Monti von der jeweiligen Entwicklung hat. Es geht nicht um stur verfolgte Rezepte, sondern darum, das beste Ergebnis herauszuarbeiten.

Was schliesslich in kleinen Auflagen in die Flasche gefüllt wird, besitzt zwar Konzentration, aber auch Finesse. Nichts ist zu spüren von jener bisweilen kantigen Art, welche so manchem Tessiner Merlot noch vor ein paar Jahrzehnten eigen war – zumindest in den nassen Jahren. Der Klima- wandel habe, sagt Ivo Monti, im Falle seiner Heimat durchaus sein Gutes. Verkostet man die letzten Jahrgänge des Canto della Terra, so kann man nicht nur zu dem Schluss kommen, dass der Wein zum Besten gehört, was in der Region gekeltert wird, sondern dass er auch europaweit Massstäbe setzt. Als Pétrus der Schweiz würde Ivo Monti seine Kreation nie bezeichnen, aber er erinnert an den französischen Önologen Denis Dubourdieu, der das Tessin einst als zweitbestes Merlot-Anbaugebiet der Welt bezeichnete – gleich nach dem Pomerol. Ob die Weine ebenso gut reifen wie an der Dordogne, ist noch nicht raus – schliesslich existiert der Top-Wein der Montis erst seit ein paar Jahren. Aber zumindest lassen sich Mutmassungen anstellen, wenn man sich dem Weisswein der Cantina Monti nähert, dem vierten Vertreter des kleinen Sortiments. Der ist, heute gekeltert aus Chardonnay, Pinot gris und Müller-Thurgau, nicht unbedingt für die Ewigkeit gemacht, entwickelt sich aber ausgezeichnet. Sogar ein 1982er (!) habe sich, erzählt Ivo Monti, kürzlich in ausgezeichneter Verfassung präsentiert. Rechnet man dieses Reifepotenzial auf den Canto della Terra um, der ja deutlich mehr Anlagen mitbringt, kann einem fast schwindelig werden. Bereits beim Gedanken an jahrzehntelang gereiften Rotwein à la Monti meint man, die tiefgründige, gefühlvolle Melodie des Liedes von der Erde wahrzunehmen.

WEITERE WEINE CANTINA MONTI

PLÄTZE 2 BIS 10 DER 100 SCHÖNSTEN WEINE DER SCHWEIZ 2019

PLÄTZE 11 BIS 40

PLÄTZE 41 BIS 70

PLÄTZE 71 BIS 100