Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Der Import von Schaumwein in die Schweiz stieg allein in den letzten zehn Jahren um 40 Prozent, und heute werden fast ebenso viele Flaschen Prickler eingeführt wie Weisswein in Flaschen. Das weckt den Appetit: An diesem Wachstumsmarkt wollen auch immer mehr Schweizer Betriebe teilhaben. Kommt dazu, dass mit versektetem Wein die Kasse klingelt. Lag 2018 der durchschnittliche Importpreis pro Flasche für Weisswein bei Fr. 4.80 und für Rotwein bei Fr. 7.30, betrug er beim Schaumwein Fr. 7.90, vor zehn Jahren gar Fr. 10.70. Dieser Preisrückgang ist vor allem auf den Prosecco-Boom zurückzuführen.

Als Konsumentin von Champagner, Prosecco oder Cava zählt die Schweiz zur Weltspitze, als Produzentin von Schweizer Schaumwein aber zu den Entwicklungsländern. Abgesehen von ein paar Solitären wie die Frères Bouvier in Boudry oder das Maison Mauler in Môtiers, die sich bereits im 19. Jahrhundert auf die Schaumweinproduktion spezialisierten, verfügen nur wenige Betriebe über eine längere Erfahrung.

Im Kanton Neuenburg sind die ältesten Schaumweinproduzenten ansässig. Die Bouviers kelterten bereits 1811 Sekt nach Champagnerart

Es gibt unterschiedliche Gründe, weshalb Schweizer Winzer der Sektherstellung bislang wenig Bedeutung beigemessen haben, etwa, dass sich Chasselas kaum dafür eignet, die Sorte ist zu säurearm und neigt nach der Versektung zu unharmonischer Bitternote, dass Riesling-Silvaner zu kräftige und zu leichtflüchtige Aromen hat, dass das Verfahren technische Ausrüstung und spezifische Kenntnisse voraussetzt, dass es Raum und Zeit braucht.

Wie kommen die Perlen in den Wein, und was bringt ihn zum Schäumen? Am einfachsten und günstigsten ist das Imprägnierverfahren. Dabei wird Kohlensäure in den Wein gepumpt. Sie ist schnell drin – und schnell wieder draussen. Eine zweite Möglichkeit ist der Drucktank. Dabei wird der Stillwein mit Hefe und Zucker angereichert, was zu einer zweiten Gärung führt. Sie findet in einem geschlossenen, druckfesten Tank statt, die sich entwickelnde Kohlensäure kann so nicht entweichen und bindet sich im Wein ein. Dieser Versektungsprozess dauert ein paar Wochen oder Monate. Das bekannteste Produkt dieser Klasse heisst Prosecco. Das dritte Verfahren ist das aufwendigste und folglich das kostspieligste: Es ist die traditionelle Methode, wie man sie aus der Champagne, aus Penedès oder aus der Franciacorta kennt. Merkmale sind Flaschenvergärung und teilweise mehrjährige Lagerung auf der Hefe. Dabei bildet sich die feinperligste und dauerhafteste Kohlensäure. Wer dieses Verfahren anwendet, weist auf der Flasche auf die «méthode traditionnelle» hin und hebt sich so von den beiden anderen Kategorien ab

Maison Mauler in Môtiers spezialisierte sich bereits im 19. Jahrhundert auf die Schaumweinproduktion, und verfügt heute wie nur ganz wenige Betriebe über eine längere Erfahrung. (Foto: ©Mauler & Cie SA)


Erst eine kleine Anzahl von Schweizer Winzern, die flaschenvergorenen Schaumwein anbieten, macht die Versektung auch selber, hat also die Infrastruktur mit Rüttelpulten und Reifungskeller, wie man sie von der traditionellen Methode kennt, und nur wenige sind dafür eingerichtet, das «dégorgement à la glace» auch selber zu machen, sie ziehen dafür einen Spezialisten bei. Dabei wird mittels Vereisung das Hefedepot entfernt. Das «dégorgement à la volée» braucht ausser dem Degorgierhaken keine Geräte, jedoch Geschicklichkeit. In den 1990er-Jahren entstanden in der Schweiz mehrere Firmen, die sich darauf spezialisierten, Grundweine zu versekten. Die grössten Mengen verarbeitet die Firma Gasser in Ellikon. In einem Porträt – erschienen im «Landboten» – wird Gründer Paul Gasser zitiert: «Innovativ wird man in der Not.» Zu grosse Ernten hätten dazu geführt, dass die Winzer ihre Trauben nicht mehr verkaufen konnten. Der Grossteil der Winzer liefert bereits den Wein an, habe eigene Vorstellungen oder lasse Gasser freie Hand. Nach der Analyse wird der Grundwein auf 24 Gramm Zucker pro Liter eingestellt, in Flaschen abgefüllt, und es werden immobilisierte Hefen der Firma Erbslöh-Cavis beigegeben, mit denen der Versektungsprozess besonders effizient realisiert werden kann. Die Firma wird heute von Urs Gasser geführt. «Wir wollen spritzige, fruchtige Produkte, bei denen die Sortentypizität erkennbar ist, und also nicht die Champagne imitieren.» Deshalb würden die Weine auch bereits nach einem halben Jahr degorgiert und versandfertig gemacht. Wie viele Winzer in Ellikon versekten lassen und wie viele Flaschen produziert werden, darüber gibt man bei Gasser keine Auskunft. Es werden mehrere hundert Winzer sein – in guter Gesellschaft etwa mit dem Weingut Donatsch in Malans –, und die Gesamtmenge wird bei mehreren hunderttausend Flaschen liegen. Die Versektung bei Kleinmengen kostet bei Gasser Fr. 6.20. Zur selben Zeit wie Gasser ging auch der Genfer Önologe Xavier Chevalley in Cartigny an den Start. Er produziert heute jährlich rund 130 000 Flaschen für rund 70 Weinbaubetriebe, darunter sind La Cave de Genève mit ihrer Linie «Baccarat» oder das Walliser Weingut Clos du Tsampéhro. Und Anfang 1990 begann auch Daniel Marendaz in Mathod bei Yverdon. Der grosse Frost von 1956 hatte auch die Reben in seinem Neuenburger Dorf zerstört. 1983 begann der Autodidakt mit dem Wiederaufbau. Der Betrieb Cave de la Combe umfasst heute 5 Hektaren mit 14 verschiedenen Rebsorten. Er wird von Tochter Valérie geführt, während sich Daniel Marendaz um die Lohnversektung kümmert. Vor zwanzig Jahren startete er mit 3000 Flaschen, heute verlassen jährlich rund 50000 Flaschen seinen Keller. 2003 stieg der Önologe Roland Lienhard ins Geschäft ein. Er kam bei Kurt Nussbaumer in Aesch auf den Schaumweingeschmack. Nussbaumer produzierte für seine Frau Josy, Köchin im Landgasthof «Klus», einen flaschenvergorenen Sekt, den er mittels «dégorgement à la volée» fertigstellte. Lienhard legt Wert darauf, dass er mit Champagnerhefen arbeitet und den Weinen viel Zeit «sur latte» lässt. Die Jahresproduktion liegt bei rund 150000 Flaschen, verteilt auf rund 70 Auftraggeber. Der Flaschenpreis für die Versektung liegt bei Roland Lienhard zwischen 5 und 7 Franken. Während zu Beginn vor allem Weine aus den klassischen Schaumweinsorten wie Pinot noir und Pinot Meunier angeliefert wurden, sei das Spektrum heute sehr gross, so vergäre er etwa auch Sauvignon blanc und Piwi-Sorten. «Es ist eine grosse Spielwiese», freut sich Lienhard.

Jacques Germanier liess für die Flaschenreifung einen 350 Meter langen Tunnel in den Fels hauen, der seinem Betrieb auch den Namen gab: Cave du Tunnel

Bereits Ende der 1980er-Jahre stieg der Walliser Jacques Germanier ins Schaumweingeschäft ein. Damals gelang es ihm, einen Teil seiner Traubenlieferanten davon zu überzeugen, in den hohen Lagen schlecht reifenden Chasselas durch Chardonnay zu ersetzen, und er bezahlte ihnen für die von ihm gewünschte Sorte auch einen deutlich höheren Preis.

Gleichzeitig liess Germanier für die Flaschenreifung einen 350 Meter langen Tunnel in den Fels hauen, der seinem Betrieb auch den Namen gab: Cave du Tunnel. Germanier war davon überzeugt, dass das Klima während des Ausbaus von entscheidender Bedeutung ist. Mit seinem Kellermeister Bruno Geiger entwickelte Jacques Germanier eine Serie von Walliser Schaumweinen: die beiden Blanc de Blancs Brut Millésimé und Brut Grande Réserve sowie den Brut Cuvée Prestige Rosé aus verschiedenen Walliser Sorten. Die Gesamtproduktion liegt bei über 100000 Flaschen. Am 3. Oktober 2017 titelte die Walliser Zeitung «Le Nouvelliste»: «Jacques Germanier, le roi de la bulle, est décédé.» Seine Tochter führt das Erbe des 1968 gegründeten Unternehmens weiter, zu dem auch ein 100 Hektaren grosser Betrieb in Südafrika gehört.

Die beiden ältesten Schaumweinproduzenten sind im Kanton Neuenburg ansässig. Die Gebrüder Bouvier kelterten bereits 1811 Sekt nach Champagnerart und lieferten diesen bis an den Hof des preussischen Königs. In den 1960er-Jahren kam sogar eine Bestellung aus dem Weissen Haus in Amerika an den Neuenburgersee: Jacqueline Kennedy-Bouvier wollte den Wein ihrer Vorfahren kennenlernen. Auf eine zweite Bestellung wartet man in Bourdy allerdings heute noch. Die Schaumweinwelle hat auch das Traditionshaus erfasst. In den letzten paar Jahren hat sich die Produktion von 3000 Flaschen Jahrgangsbrut auf 16000 Flaschen gesteigert. 30 Kilometer von Boudry entfernt, in Môtiers, einer Gemeinde im Val de Travers, begann 1829 Abram-Louis Richardet im ehemaligen Kloster Le Prieuré St-Pierre ebenfalls mit der Herstellung von «vins mousseux» nach traditioneller Art. 1859 übernahm Louis-Edouard Mauler den Betrieb und baute ihn kontinuierlich aus. Brut von Mauler kam im Verlauf der Geschichte immer wieder zu grossen Auftritten. So wurde die Cuvée de Réserve 1906 anlässlich des Staatsbesuchs des französischen Präsidenten Armand Fallières serviert, die Cuvée de Réserve Brut Mauler 1929 in Dübendorf bei der ersten Landung eines Zeppelins in der Schweiz entkorkt, und 1983 kam der französische Präsident François Mitterand in den Genuss einer Cuvée Brut Nature. Das Unternehmen, das heuer sein 190-jähriges Bestehen feiert, produziert jährlich zwischen 500000 und 600000 Flaschen und stellt daraus rund 20 verschiedene Cuvées her, ein kleiner Teil davon aus einheimischem Wein.

Unter die Kategorie «Winzersekt» kann man diejenigen Betriebe zusammenfassen, die eigene Trauben verarbeiten und bei denen auch die Flaschengärung im eigenen Keller stattfindet. Das sind gemessen an der Anzahl unterschiedlicher Produkte, die auf dem Markt angepriesen werden, eine kleine Minderheit. Zu ihnen zählen die Produkte von Nouveau Salquenen. Bereits in den 1990er-Jahren begannen Adrian und Diego Mathier, einen Teil der Pinot-noir-Trauben, an denen es in Salgesch wahrlich nicht mangelt, zu versekten. «Folie à Deux brut» heisst ihr Blanc de Noirs, «ein Produkt, angesiedelt zwischen einem Prosecco und einem Champagner», wie Diego Mathier erklärt. Für den drei Jahre «sur latte» gereiften Schaumwein wird Ende August in den Pinot-noir-Parzellen eine selektive Frühernte durchgeführt, die Überproduktion eliminiert. «Dadurch haben wir für den Brut genügend Säure und konzentrieren die Pinot-noir-Weine.» Die Produktion des Folie à Deux hat sich bei 10000 Flaschen stabilisiert.

Mit der Ernte 2006 startete Kellermeister Fredy de Martin (rechts) einen ersten Spumante-Versuch für den Tessiner Winzer Feliciano Gialdi. (Foto: Hans-Peter Siffert / weinweltfoto.ch)
Rund 3300 Flaschen kommen vom Tessiner «Sottosopra» auf den Markt, das ist gemessen an der Million Gialdi-Flaschen ein Klacks.


Rund 3300 Flaschen kommen vom Tessiner «Sottosopra» auf den Markt, das ist gemessen an der Million Gialdi-Flaschen ein Klacks. Mit der Ernte 2006 startete Kellermeister Fredy de Martin einen ersten Spumante-Versuch. Er wählte dafür die Pinot-noir-Trauben von Franz Baumgartner aus Anzonico. Die Ernte aus dem nördlichsten und höchstgelegenen Tessiner Rebberg ergab einfach keinen befriedigenden Roten. Der Primeur gelang nach Mass: Weinjournalistin Barbara Meier war darauf aufmerksam geworden und schleuste ihn in eine internationale Schaumweindegustation ein, wo der «Sottosopra» gleich auf dem Podest landete. «Wenn schon, dann schon etwas Rechtes, also pas dosé», sagte sich Fredy de Martin und füllte von Beginn an ohne Dosage ab. «Sie ist eine delikate Angelegenheit und setzt viel Erfahrung voraus. Davon verstehe ich nichts, also lasse ich die Finger davon.» Der Grundwein wird teilweise oder wie bei den 300 Flaschen «Riserva del Padrone» vollständig in Barriques ausgebaut, die Flaschenreifung kann bis zu 42 Monate dauern.

Auch für den Aargauer Tom Litwan sind starke Säure, Holzausbau und lange Flaschenreifung von entscheidender Bedeutung. Seine erste Jahrgangsabfüllung datiert aus dem Jahr 2008. Es begann mit ein paar hundert Flaschen, ab Jahrgang 2016 werden es 1500 bis 2000 Flaschen sein. Und Litwan baut weiter aus, so hat er zusätzliche Stöcke Petit Meslier gepflanzt.

Wenn im Tessin und Aargau flaschengereifter Spumante nur in kleinsten Nischen blüht, gibt man in der Bündner Herrschaft richtig Gas. Auf Christian und Francisca Obrechts Weingut zur Sonne in Jenins fiel der Startschuss 2009. Im ersten Jahr liess man bei Gasser versekten, im folgenden Jahr hielten die beiden einen Teil des Grundweins zurück und
übten sich darin, aus Stillwein mittels Flaschenvergärung und Rüttelpult einen feinperligen Schaumwein zu erzeugen. Nur fürs Degorgieren, das Auswechseln des Kronkorkens mit dem Schaumwein- korken, brauchten sie die Hilfe eines Spezialisten. Heute sind sie auch dafür eingerichtet, und ein automatisiertes Rüttelpult hat ebenfalls Einzug gehalten, denn mit 12000 Flaschen Jahresproduktion ist das regelmässige Drehen der Flaschen von Hand kein Hobby mehr; von A bis Z findet alles im Jeninser Keller statt. «Die zweite Gärung ist der heikelste Punkt in der Herstellung», sagt Christian Obrecht. Damit sie gelingt, soll der Grundwein maximal 12 Volumenprozent aufweisen, das heisst, die Trauben müssen rechtzeitig geerntet werden. Und das Kellerklima muss stimmen.» Bis zum Jahrgang 2013 setzte sich Obrechts Brut aus Pinot noir, Pinot Meunier und etwas Syrah zusammen. In den jüngeren Abfüllungen wurde auf Syrah verzichtet, da die Pinot-Meunier-Pflanzung mittlerweile genügend trägt. Diese Sorte trägt wesentlich zu Struktur und Aromen bei. Die leichte Färbung des Schaumweins ist gewollt. Sie entsteht, weil die Trauben erst nach einer kurzen Standzeit abgepresst werden und der Wein nicht kohlegeschönt wird; die Wirkung des Gerbstoffs ist im Wein denn auch spürbar. «Wir wollen einen möglichst puren Schaumwein ohne Reifenoten erzeugen. So arbeiten wir mit jungen Weinen, beschränken die Flaschenreifung auf zwei Jahre und verzichten auf eine Dosage.»

Patrick Adank aus Fläsch, der Sohn von Hansruedi Adank, lernte das Handwerk der Champagner-Herstellung von der Pike auf. Ende 2015 kamen seine ersten Abfüllungen auf den Markt. (Foto: Hans-Peter Siffert / weinweltfoto.ch)

Mit Patrick Adank aus Fläsch haben Obrechts einen ambitionierten Mitstreiter gefunden. Der Sohn von Hansruedi und Rezia Adank lernte das Handwerk der Champagner-Herstellung bei Raphael Bérêche in Ludes. Und er erlebte, wie grandios es sein kann, wenn exzellenter Champagner ein ganzes Essen zu begleiten vermag. Patrick Adank erhielt Einblick in die Finessen und die Ernsthaftigkeit einer Schaumweinkultur, wie er sie in der Schweiz noch vermisst. Ende 2015 kamen seine ersten Abfüllungen auf den Markt. Nun steht der Jahrgang 2016 zum Verkauf, die Reserveweine stammen aus den Jahren 2015 und 2015. Die Produktion ist bereits auf 6500 Flaschen angewachsen. Der junge Adank ist überzeugt, dass aus Pinot noir kalkhaltiger Fläscher Böden auch erstklassige Blanc de Noirs entstehen können.

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